Dr. Klaus Heer

Die Weltwoche vom 18. Mai 2017
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Brigitte Macron – «Älter, erfahrener, gelassener»

Frauen mit einem deutlich jüngeren Mann gaben immer Anlass zu bösartigem Klatsch. Bis Brigitte Macron an einem hirnlosen Tabu kratzte.

VON BEATRICE SCHLAG
Freunde, die man lange kennt, erzählen manchmal Geschichten über wesentlich ältere Frauen, mit und von denen sie als sehr junge Männer die Freuden der Sexualität kennenlernten. Es waren Nachbarinnen, Arbeitskolleginnen, zufällige Bekanntschaften. Die Geschichten werden meist liebevoll erzählt. Die Freunde schätzten diese Frauen, liebten sie vielleicht. Dennoch war immer von vornherein klar, dass die Geschichte wegen des Alters­unterschieds keine Zukunft haben würde, selbst wenn die Frau ungebunden und kinderlos war. Warum? «Das wäre auf Dauer sicher nicht gutgegangen», sagen sie, meist überrascht von der Frage.

Sie hatten offenbar nie darüber nachgedacht. Es war ein gesellschaftliches Tabu. Mit einer viel älteren Frau konnte man keinen Staat machen.

«So spricht bornierter Neid»

Diese alberne Redewendung wurde gerade un­erwartet konkret widerlegt. Man kann mit, nicht trotz einer 24 Jahre älteren Ehefrau Staat machen. In Frankreich wählten zwanzig Millionen einen jungen Präsidenten, dessen Frau sieben­fache Grossmutter und seine engste Beraterin ist. Die Medien schrieben anfänglich abwechselnd, er sei schwul, sie sei Fassade oder immer seine Lehrerin geblieben, werde im Elysée die Hosen anhaben, die Ehe sei reines Kalkül. «So spricht purer Neid aus Borniertheit», sagt der Berner Paartherapeut und Autor Klaus Heer. Tatsächlich schienen die Wähler souverän desinteressiert an den Ehespekulationen. Sie wählten Emmanuel Macron aus sehr unterschiedlichen Gründen. Dass seine Frau Brigitte die neue Strippenzieherin im Elysée sein könnte, gehörte nicht dazu. Zum Erstaunen der halben Welt erregte das Alter der neuen Première ­dame in Frankreich allenfalls Begeisterung.

Manchmal fallen Tabus sehr plötzlich, weil Regierende und Medien das verpassen, was bei Wählern längst kein Thema mehr ist. Jeder kennt eine tolle Frau, die mit einem jüngeren Mann verheiratet ist. Und weiss, dass es denen gutgeht. Oder nicht schlechter als Paaren ohne nennenswerten Altersunterschied. Promi­nente Paare haben es lange vorgemacht. Joan Collins, die herrlich perfide Alexis aus der Kultserie «Dynasty» der achtziger Jahre, ist 83 und seit 2002 mit einem heute 55-Jährigen verheiratet, dessen Namen niemand kennt. «Viele Frauen, die einen um einiges jüngeren Mann heirateten», sagte sie, seien nach eigenen Aussagen «noch nie so glücklich gewesen. Ich muss sagen, dass ich ihnen zustimme.» Wie viele Prominente war sie in früheren Ehen mit älteren Männern verheiratet gewesen. Eine ­andere ist Geena Davis, die unglückliche Hausfrau aus «Thelma and Louise», die nach drei Ehen mit Männern, «die mit meinem Erfolg schlecht zurechtkamen», seit sechzehn Jahren mit dem fünfzehn Jahre jüngeren Chirurgen Reza Jarrahy lebt. Susan Sarandon, ihre damalige Filmpartnerin, war 23 Jahre mit ihrem zwölf Jahre jüngeren Mann, dem Schauspieler Tim Robbins, zusammen gewesen, bis sie sich 2009 trennten. 23 Jahre Ehe sind mehr, als ­viele mehr oder weniger gleichaltrige Ehe­paare aushalten können oder wollen.

Madonna gab sich mit älteren Männern gar nicht erst ab. Der Altersunterschied zu ihren beiden Ehemännern Sean Penn und Guy ­Ritchie betrug nur zwei respektive zehn Jahre. Danach wurden die Männer an ihrer Seite immer jünger. Aber Madonna war eine Frauen­kategorie für sich. Wie Tina Turner, die nach fast dreissig Jahren des Zusammenlebens vor drei Jahren ihren sechzehn Jahre jüngeren Partner Erwin Bach heiratete. Demi Moore, kurzzeitig bestbezahlte Schauspielerin Hollywoods, Ex-Frau von Hollywoodstar Bruce Willis und Mutter von drei Kindern, heiratete 2005 mit 43 den Shootingstar Ashton Kutcher, damals 27, und unterzog sich nach eigenen Aussagen ungefähr allen Schönheitsoperationen von Gesicht bis Oberschenkeln, die ihr Alter ­hätten vergessen machen können. Es war ein schlechtes Rezept gegen die Angst vor dem Alters­unterschied. Gezurrte Haut schafft keine Abhilfe gegen mangelnde Jugend. Die Ehe wurde 2013 geschieden.

Ihn nerven die Fragen mehr

Die spannendsten Eheleute unter den Prominenten mit grossem Altersunterschied neben den Macrons sind gegenwärtig Sam und Aaron Taylor-Johnson. Die fünfzigjährige Sam Taylor-Johnson, früher Sam Taylor-Wood, Regisseurin des Erfolgfilms «Fifty Shades of Grey», war eines der Lieblingskinder der Londoner Kunstszene, immer auf Partys mit Stella ­McCartney, Sting, Kate Moss, Elton John und ­ihrem damaligen Ehemann, dem Galeriebesitzer Jay Jopling, mit dem sie zwei Kinder hatte. Nach zwei schweren Operationen wegen Darm- und Brustkrebs und der Scheidung von Jopling verliebte sich die damals 42-Jährige während der Dreharbeiten zu dem Episodenfilm «Nowhere Boy» in den achtzehnjährigen Aaron Johnson, den sie als jungen John Lennon besetzt hatte. Ein Jahr später erwartete sie ein Kind von ihm.

Aarons Heiratsantrag, sagt sie, habe sie komplett überrascht. Ihre ältere, damals dreizehnjährige Tochter sagte: «Der ist so viel besser als irgendein dahergelaufener fetter Typ.» Sam und Aaron heirateten 2012 und änderten ihre Nachnamen in Taylor-Johnson. «Wir verletzen niemanden, machen niemanden unglücklich. Nur die Umwelt meint, etwas dazu bemerken zu müssen», sagt die inzwischen vierfache Mutter, «aber dem soll man kein Gehör schenken. Man kann ja ohnehin nichts dagegen tun.» Ihren in diesem Jahr mit einem Golden Globe ausgezeichneten Schauspielergatten nerven die ewigen Journalistenfragen nach dem Altersunterschied deutlich mehr. «Gott sei Dank kann ich inzwischen einfach sagen: ‹Hört auf›, statt den Leuten für die ­Frage den Kopf abreissen zu wollen.» Freunde, die das Paar gut kennen, sagen, die Erklärung für die glückliche Ehe sei einfach: Er habe eine alte, sie eine junge Seele.

«Die meisten Paare schwärmen davon, miteinander alt zu werden. Das geht nicht, wenn der eine schon alt ist», sagt Klaus Heer. «Wenn die Frau ihre Fruchtbarkeit schon eingebüsst hat, bleibt die Liebe der beiden kinderlos. Sie sind gezwungen, ganz im Moment zu leben.»

Die Schönheit liegt anderswo

Ein schwacher Trost ist das, wenn man als Paar nicht wirklich stark ist. Solch exotische Erotik trotzt den landläufigen Ideen von Attraktivität beider Geschlechter. Vor allem dem globalen Gedöns lässt ein solches Paar die Luft raus. Die angegraute Frau muss autonom und selbstgewiss sein wie ein Puma. «Cougar» heisst die Puma-Frau denn auch nicht nur im angelsächsischen Raum, sondern weltweit. Der Mann darf indes nicht weniger schlappmachen in einer solchen Paarkonstellation. Ohne lückenlose Solidarität und volle Loyalität ­würden sie beide scheitern. Allerdings, sagt Heer, beweise ein solcher Mann mit seiner Wahl bereits, «dass er sich souverän über das Diktat der straffen Pfirsichhaut hinwegsetzt. Seine Augen sehen die Schönheit der Frau anderswo. Und er steht dazu.»

Cougars, alleinstehende Frauen über vierzig mit einer Vorliebe für jüngere Männer, wurden in TV-Serien wie «Cougar Town» oder «Sex and the City» – man erinnere sich an ­Samantha – als verzweifelte, sexbesessene ­Jägerinnen dargestellt. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Die meisten dieser Frauen suchen weder einen Versorger noch ständig Sex, ­sondern einen Partner. Sie verdienen ihr eigenes Geld, sind selbstbewusst und oft gar nicht erpicht auf Heirat. Deswegen kommen viele von ihnen in Heiratsstatistiken und Studien über Paare mit grossem Altersunterschied gar nicht vor. Letztere sind übrigens rar und ­wegen der geringen Anzahl befragter Paare wenig aus­sagekräftig. Einhellig kommen sie zu dem Schluss, dass der Tratsch der Umwelt über die ältere Frau mit dem jüngeren Mann den ­Paaren wesentlich mehr zusetze als der Alters­unterschied selber. Und dass Frauen von der Vitalität jüngerer Männer angezogen seien, während Männer nicht unbedingt die Mütterlichkeit, sondern vor allem die Reife und Er­fahrung älterer Frauen schätzten. Und, in wirtschaftlich harten Zeiten nicht zu vergessen: deren meist höheres Ein­kommen.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor