Dr. Klaus Heer

20min online vom 9. Februar 2013
Stacks Image 94083

«Auch offene Beziehungen werden langweilig»

Abenteuer ausserhalb der Partnerschaft sollen emotionale und sexuelle Langeweile verhindern. Für Paartherapeut Klaus Heer sind offene Beziehungen trotzdem zum Scheitern verurteilt.

INTERVIEW: EMIL KELLER
Kann ein Mensch in einer monogamen Beziehung ein Leben lang glücklich bleiben?

Klaus Heer: Kommt drauf an, was man sich unter glücklich sein vorstellt. Wenn man sich ausmalt, ein Leben lang verliebt zu sein, dann ist es unmöglich. Diese Phase dauert durchschnittlich nur 90 Tage. In dieser Zeit sind wir hormonbetrunken. Danach kommt man wieder zur Vernunft.

Also verliebt man sich während einer längeren Beziehung wahrscheinlich mal in eine andere Person. Wäre eine polyamore Beziehung dann nicht die Lösung?

Ich glaube nicht, dass solche Beziehungen auf Dauer funktionieren. Es werden zwar immer wieder Erfolgsgeschichten erzählt. Das sind aber höchstens Gerüchte von Geschäftemachern. Partnervermittlungen sind daran interessiert, den Umsatz möglichst hochzuhalten.

Wir haben mit einem polyamoren Paar gesprochen, das nach drei Jahren immer noch glücklich ist.

Was sind schon drei Jahre? Die Frage ist, wie sie die nächsten Jahrzehnte überstehen. Man sollte sich auf den gesunden Menschenverstand verlassen. Jemand, der liebt, der will und kann diese Person nicht mit jemand anderem teilen. Es gibt Leute, die wagen diesen ideologisch tollkühnen Sprung. Doch geht das höchstens ein oder zwei Jahre gut.

Warum funktioniert es nicht?

Die naive Idee ist, dass beide Partner sich gleichzeitig nach aussen verlieben. Schön wärs! Einer fällt immer raus, lebt im Schatten des anderen. Am Anfang ist das vielleicht spannend, man kann sich aufregende Dinge erzählen. Doch irgendwann wird das langweilig.

Sind also alle Beziehungsformen auf die Dauer zur Langeweile verurteilt?

Wenn man mit Investitionen knapp und geizig ist, hat das zur Folge, dass Beziehungen langweilig werden. Die Spannung ist dann weg. Man muss zusammen suchen, was es braucht, damit die Beziehung wieder gut wird.

Hatten Sie auch schon polyamuröse Paare in der Therapie?

Ja, schon einige. Sie sind meist überfordert mit der eigenen Weltanschauung. Sie müssen einen ideologischen Graben überspringen, doch der Graben ist viel zu breit. Meistens fühlt sich einer der Partner zu etwas gedrängt, das er eigentlich gar nicht will. Das kann verletzend sein. Und zerstörerisch für die Beziehung.

Haben Sie sich schon überlegt eine offene Beziehung zu führen?

Noch nie. Dabei habe ich doch die 68er Bewegung miterlebt.

Warum ist uns dieser Gedanke so fremd?

Monogamie ist das offizielle gesellschaftliche Konzept. Der Sozialpsychologe Erich Fromm sah die Ehe als Zivilisationsschablone: Man muss nichts überlegen, sondern kann alles übernehmen. Die meisten monogamen Paare haben kein eigenes Beziehungskonzept. Paare in einer offenen Beziehung kommen nicht darum herum, über die Verfassung ihrer Beziehung zu sprechen und die Fundamente zu definieren.

Also hat die offene Beziehung doch Vorteile.

Abseits der Trampelpfade kann man reiche Erfahrungen machen. Man sollte sich dabei nicht vom Vatikan oder anderen Besserwissern wie mir einschränken lassen. Sonst beschneidet man sich das eigene Leben. Doch es ist eine gewaltige Herausforderung. Und vergessen Sie nicht: Auch die ganz gewöhnliche Ehe kann ein Abenteuer werden. Sobald man nämlich entdeckt, dass man den eigenen Partner überhaupt nicht kennt. Selbst nach vielen Jahren in gemeinsamen vier Wänden.

Sie glauben also nicht, dass polyamuröse Beziehungen eines Tages zur Norm werden?

Doch das könnte sein. In 400 bis 500 Jahren ist es denkbar.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor