Dr. Klaus Heer

Mir z'lieb vom November 2009
Kundenzeitschrift der EGK-Gesundheitskasse
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Gelegenheit macht Liebe

Bedeutet ein Seitensprung das Ende einer Ehe? Kann man seinem Partner jemals wieder vertrauen? Wie gehen Paare mit dieser Situation um? Diese und andere Fragen rund um die Liebe, innerhalb und ausserhalb einer Beziehung, beantwortet Paartherapeut Klaus Heer.

INTERVIEW: YVONNE ZOLLINGER
Herr Heer, wo beginnt eigentlich ein Seitensprung?
Jeder Mensch empfindet das anders. Wer selbst fremdgeht, hat eher die Tendenz, die Sache zu verharmlosen. Während den unbeteiligten Partner schon kleine verdächtige Anzeichen durcheinanderbringen.

Kann ich sehen oder spüren, dass mein Partner oder meine Partnerin fremdgeht?
Ja, das kann gut sein. Wenn zum Beispiel der Partner immer weniger zu Hause ist. Wenn er plötzlich viel mehr Wert auf Körperpflege legt oder sich sonst etwas in seinem Leben ändert, das man sich nicht erklären kann. Aber alle diese Anzeichen sind längst nicht so zuverlässig wie die Kontrolle des Handys oder der E-Mails.

Sie sagen das, als ob es normal wäre, Handy und E-Mail seines Partners zu kontrollieren.
Ich staune immer wieder, wie schnell man heute den Griff oder Übergriff zum Handy des Partners macht. Es gibt sie ja noch gar nicht so lange, die Handys. Dass sie ein Bestandteil der Intimsphäre des Partners sind, ist vielen gar nicht bewusst. Es ist überraschend, wie systematisch Handys kontrolliert werden. Vielleicht, weil Handys in fast allen Fällen von Fremdgehen als Tatwaffe, aber auch als Beweismittel eine grosse Rolle spielen. Dabei ist die Kontrolle von Handy oder E-Mail streng genommen auch ein Vertrauensbruch, ähnlich wie das Fremdgehen.

Was stimmt in der Partnerschaft nicht, wenn einer von beiden ausbricht und fremdgeht?
Die erste Voraussetzung zum Fremdgehen ist schlicht die Gelegenheit. Wenn jemand Gelegenheit hat, dann ist er meist schon sehr nahe dran. Man darf sich nicht der Illusion hingeben, man habe eine gute Beziehung und sei darum geschützt vor dem Fremdgehen des anderen. Oder auch geschützt vor dem eigenen Fremdgehen. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Keine Beziehung kann so gut sein, dass sie sicher ist vor Fremdgang.

Das klingt ja, als wären wir willenlose Wesen, die bei der erstbesten Gelegenheit schwach werden.
Für mich klingt das eher danach, dass viele Männer und Frauen lebendige, lebenslustige Wesen sind. Der Geist mag stark sein, aber das Fleisch ist oft schwach. Ich verstehe das durchaus. Es hat auch damit zu tun, dass wir sehr lange zusammenbleiben müssen, wenn wir durch den Tod geschieden werden wollen. So lange wie noch nie, dreimal länger als vor 100 Jahren.

Geheimnisse vor dem Partner zu haben, ist das erlaubt? Oder macht man damit schon etwas kaputt?
Üblicherweise nimmt man es als gutes Zeichen einer Partnerschaft, wenn man keine Geheimnisse voreinander hat. Aber da bin ich mir nicht so sicher. Im 21. Jahrhundert ist es so, dass man das miteinander verhandeln muss. Und zwar bevor man in die Falle einer Aussenbeziehung getappt ist. Vorher und immer wieder muss darüber geredet werden, wie die Privatsphäre beschaffen sein soll. Also konkret, wann fängt für die Partner Untreue an? Das muss nicht unbedingt für beide gleich sein. Es ist wirklich sehr empfehlenswert, dass man darüber ins Gespräch kommt und das Thema immer wieder aufgreift. Vor allem auch, weil sich dieses Empfinden im Laufe einer Beziehung ändern kann.

Wenn man in einer Affäre steckt: Was soll man tun – gestehen oder schweigen?
Diese Frage höre ich eigentlich nur von Journalisten. Die Betroffenen beantworten diese Frage selbst. Die meisten von ihnen halten die Situation nämlich schlicht nicht aus. Sie werden von ihrem schlechten Gewissen grilliert. Es dauert meist nicht lange, bis sie das quälende Bedürfnis haben, ihr Verhältnis dem Partner zu gestehen. Die Wahrheitsliebe wird in den meisten Beziehungen höher eingestuft als die Liebe selbst. Man büsst seinen Seelenfrieden ein, wenn man schweigt. Das verschafft dem untreuen Partner Erleichterung. Dem Betrogenen wird dadurch kaum wohler. Von Erleichterung kann keine Rede sein. Weil der Partner natürlich auf das Geständnis reagiert. Die Last ist dann auf beiden Seiten gross. Beide haben ein riesiges Problem.

Was empfinden Menschen, die erfahren, dass ihr Partner fremdgeht?
Dieses schmerzliche Gefühl, hinters Licht geführt worden zu sein. Sein Vertrauen missbraucht zu wissen. Das Gefühl, dass sich das Misstrauen wie ein Krebsgeschwür in die Beziehung hineinfrisst, ohne dass man etwas dagegen tun kann. Zumindest am Anfang glauben die Betrogenen auch, dass sie dem Partner nie mehr vertrauen können, weil ein tiefer Riss in der Beziehung entstanden ist. In den ersten Tagen und Wochen, wo die ganze Geschichte ans Licht kommt, weitet sich dieser Riss noch aus. Die Dinge, die mit Moral, mit Lügen und Misstrauen zu tun haben, sind dabei qualvoller und schwieriger zu ertragen als der sexuelle Aspekt der Affäre.

Viel besser geht es dem untreuen Partner nach dem Geständnis also auch nicht?
Nein, überhaupt nicht. Das wird sehr unterschätzt. Wer sich auf eine fremde Beziehung einlässt, hat keine Ahnung davon, dass er damit in Teufels Küche gerät. Und der Betrogene, der sich vorstellt, der Partner schwebe mit der neuen Liebesbeziehung im siebten Himmel, weiss nichts vom abgründigen Dilemma, in dem der andere steckt. Denn dieser erlebt jetzt genau das, was er mit seinem Verschweigen verhindern wollte, nämlich dem Stammpartner weh zu tun. Nun muss er zusehen, wie diesem sein Geständnis schwerstens zusetzt.

Das Ganze ist ja eine sehr emotionale Angelegenheit. Wie kann man sich als Betrogener dazu bringen, die Sache vernünftig anzugehen?
Das Beste, was man machen kann, ist, sein soziales Netz zu aktivieren, damit man nicht so alleine ist. Man fühlt sich ja sowieso fallen gelassen und betrogen vom anderen. Es ist wichtig, dass man jemanden hat, der nicht in diesem Gefühlschaos steckt. Ähnlich wie in der Verliebtheit sieht man in dieser emotionalen Situation die Realität nicht mehr.
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Was sind für Sie denn die Grundpfeiler einer guten Ehe?
Wir sprachen von der Kommunikation. In der Kommunikation gibt es einen alles entscheidenden Teil, nämlich, dass man einander hört. Reden kann jeder. Aber das hören, was der andere mir zu sagen hat, das ist ganz hohe Kunst und ein zentraler Pfeiler. Wenn man nicht lernt und begreift, dass man Ohren und Herz aufmachen muss, dann hat man keine Chance. Ausser man gibt sich mit einer abgeschlafften, resignierten Beziehung zufrieden. Im Gegensatz dazu ist die Sexualität keine tragende Säule. Sie ist eher ein Ornament, ein Geschenk. Wenn sie da ist, ist es schön, und man muss sich glücklich schätzen. Aber ich kenne immerhin einige Paare, die keine Sexualität mehr haben und trotzdem glücklich miteinander sind. Man sollte sich vom allgemeinen Glauben, Sexualität sei entscheidend wichtig für eine Beziehung, nicht beeindrucken lassen.

Was sind die klassischen Beziehungskiller einer Partnerschaft?
Der grösste Irrtum ist wohl der, dass man glaubt, ohne Liebe leben zu können. Das geht nicht. Also muss man unbedingt gemeinsam darum besorgt sein, ein liebevolles Klima zu schaffen. Niemand, der nicht aus Edelstahl ist, kann Respektlosigkeit länger als ein paar Jahre aushalten. Hier könnte ich ihnen ein Lied singen, mehrstimmig alleine, was sich Paare an Respektlosigkeit zumuten.

Müsste man dies alles nicht lernen, bevor man eine Beziehung eingeht?
Ich glaube nicht an Prophylaxe. Ich glaube, man ist erst motiviert etwas zu tun, wenn man in Not ist, wenn die Beziehung in einem bedrohlichen Zustand ist. Das deckt sich mit der buddhistischen Weisheit, die sagt: Niemand lernt freiwillig etwas, und alle Erkenntnis kommt aus dem Leiden.

Das klingt beinahe, als ob Stolpersteine, wie zum Beispiel ein Seitensprung, eine Chance für eine Beziehung bedeuten können.
Nur wenn man die Sache rückwärts betrachtet. Ich kann ja nicht sagen: Hallo, ich gehe jetzt fremd, weil das eine Chance für unsere Beziehung ist! Das wäre verwegen. Niemand kann im Voraus wissen, welche unberechenbaren Folgen sich daraus ergeben.

Ist Vertrauensbruch überhaupt heilbar?
Ja, Vertrauensbruch ist heilbar. Vielleicht nicht bei allen. Es kommt immer darauf an, was das Paar fähig und willens ist, dafür zu tun. Einerseits muss ausserhalb der Beziehung etwas geschehen. Das heisst, es gibt kaum ein Paar, das in einer Dreierbeziehung leben kann. Es muss also geklärt werden, was mit der neu entstandenen Beziehung geschehen soll. Andererseits muss sich auch innerhalb der Beziehung der Stammpartner etwas verändern, damit Vertrauen wieder wachsen kann.

Man kann also nicht dort anknüpfen, wo man vor dem Seitensprung war, es muss sich etwas bewegen.
Fast alle Betroffenen nehmen die Situation zum Anlass, ihre Beziehung zu sanieren. Etwas, was sie vielleicht schon länger versäumt oder vergessen haben.

Was sind denn die grössten Baustellen bei der Sanierung dieser Beziehungen?
Alles, was mit Kommunikation, mit Reden zu tun hat, mit der Verständigung, dem Verständnis. Das ist das Wesentliche. Fehlende Kommunikation ist eine «Stoffwechselstörung», die mit der Zeit ungute Auswirkungen auf die Partnerschaft hat. Beide haben das Gefühl, an eine Wand zu reden, fühlen sich nicht aufgenommen, nicht ernst- und nicht wahrgenommen. Ich denke, das ist die dringendste Baustelle. An zweiter Stelle kommt die Sexualität. Sie muss mit grosser Sorgfalt und Hingabe gepflegt werden, sonst hat sie ein kurzes Verfallsdatum. Es gibt Untersuchungen, die besagen, dass die meisten Paare über 40 den «Betrieb» bereits eingestellt haben.

Ist es nicht fast unmöglich, alleine einen Weg zu finden?
Nein, unmöglich ist es nicht. Ganz einfach, weil man noch nie so viele und so gute Hilfsmittel hatte, um sich selbst auf die Beine zu helfen. Es gibt hervorragende Bücher, die einen an der Hand nehmen. Ohne Wissenselemente von aussen, Wegweisungen, Anweisungen, Empfehlungen von Leuten, die auf diesem Gebiet Erfahrung haben, schafft man es kaum. Man holt sich ja auch auf anderen Lebensgebieten Hilfe. Schon die gemeinsame Beschäftigung mit einem Buch ist heilsam. Es signalisiert, dass beide interessiert sind, etwas für das Wohlbefinden in der Beziehung zu tun. Eine der wichtigsten Erkenntnisse meiner Arbeit ist, dass die Paare im Laufe ihrer Beziehung ein verschwindend kleines Interesse an solchen Dingen haben. Sie haben alle Wichtigeres zu tun: Beruf, Elternschaft, Freizeit, Verein, Golf. Die Tage sind voll, und nach «10 vor 10» ist es zu spät.

Also ganz nach dem Grundsatz: Eine gute Ehe läuft von alleine?
Genau, und das ist natürlich ein gründlicher Irrtum. Die Ehe gibt nicht mehr her, als ich hineingebe.
 
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor