Dr. Klaus Heer

blue News vom 17. Februar 2022
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«Streit über Geld ist schmerzhafter Leerlauf»

Der Kontostand ist in vielen Beziehungen Tabu und Minenfeld zugleich. Paartherapeut Klaus Heer erklärt, wie Konflikte rund um das Geld und die Liebe angegangen werden können.

VON BRUNO BÖTSCHI
Klaus Heer, bei Ihrem allerersten Restaurantbesuch mit Ihrer heutigen Frau, wer hat da bezahlt?
Ich natürlich. Ich bin der Mann.

Würden Sie das heute immer noch so machen? Oder was halten Sie von der Frage: «Wie machen wir es mit dem Bezahlen?»
Als gestandenes Paar feiern wir heute gewöhnlich ein kleines Machtspielchen: Wer ist schneller, sie mit der Hunderternote oder ich mit der Kreditkarte?

Wenn es ans Bezahlen in einem Restaurant geht, gibt es manchmal Überraschungen?
Ja, wenn meine Frau von der Toilette zurückkommt und hinterrücks bereits bezahlt hat.

Sind Sie auch der Meinung, wer die Wahrheit über eine Beziehung erfahren möchte, sollte über Geld reden?
Die wenigsten Paare haben so viel Glück, dass sich ihre Geld-Themen federleicht anfühlen. Die meisten müssen unbedingt drüber reden. Nicht weil sie der Wahrheit ihrer Beziehung auf die Spur kommen sollten. Vielmehr weil es strapaziös ist, sich dauernd über Geld zu zanken.

So grundsätzlich: Können ein*e Rappenspalter*in und ein*e Geldverprasser*in eine funktionierende Beziehung führen?
Schwerlich. Die Versuchung ist zu mächtig, sich in einen Grabenkrieg verwickeln zu lassen. Viele Partner übernehmen ihre Kriegslogik aus ihrer Kindheit und Jugend. Die wichtigste Evidenz dabei: Der andere ist schuld. Er ist der Kriegstreiber.

In einer Beziehung, habe ich gelesen, sollte es nicht darum gehen, Unterschiede aufzuheben, sondern mit Verschiedenheiten umzugehen. Beim Thema Geld funktioniert das demnach nicht?
Doch – wenn einer von beiden erleuchtet ist. Oder wenigstens halb erleuchtet. Will heissen: Mit Unterschieden zurechtkommen, ist über alle Massen anspruchsvoll. Speziell in Sachen Geld. Geld ist eine beinharte Liebeswährung.
Warum streiten Paare trotzdem so viel übers Finanzielle?
Da kommen mir grad zwei Gründe in den Sinn. Erstens importieren wir aus unseren Elternhäusern sehr unterschiedliche Geldpraktiken, die wir dann in unserer neu gegründeten Paarwelt für normal und selbstverständlich halten. Natürlich versuchen wir sie jetzt durchzusetzen. Und zweitens versteckt sich hinter dem Geld fast immer die gewichtige Frage von Abhängigkeit und Selbständigkeit.

In der Verliebtheits-Phase reden viele kaum übers Geld.
Verliebte Glückseligkeit und herbe Kontostände sind die Faust aufs Auge. Wer wird denn schon diese raren, beglückten Augenblicke mutwillig ruinieren wollen? Man weiss doch, dass Finanzthemen oft zäh und disharmonisch enden. Im privaten Rahmen ist man schnell überfordert damit.

Wie kann ein Paar sinnvoll über Finanzielles sprechen?
Das ist eine weitläufige Frage, die sämtliche vielschichtigen Beziehungsbereiche gleichermassen betrifft, nicht nur die Geldthematik. Also auch Kindererziehung, Sozialleben, Körperkontakte und Sexualität, Ernährung und Gesundheit. Paradoxerweise kommt es dabei nicht in erster Linie aufs Reden an. Sondern aufs Zuhören. Soll ich mich jetzt wirklich darüber auslassen?

Gern.
Klassisch ist die Mühsal dieses Paares mit zwei Kindern jünger als zehn Jahre. Die Frau ist unglücklich. Sie berichtet, dass Familien- und Hausarbeit seit der Ankunft der Kinder überwiegend an ihr hängen bleibt – obwohl sie das doch seinerzeit anders geplant hätten. Jetzt ist sie teilzeitlich in ihrem anspruchsvollen Beruf tätig, ihr Mann zu 100 Prozent, nein, 130-prozentig. So hatte sie sich das nie vorgestellt. Jetzt ist sie dauersauer auf ihren Partner, unter anderem deshalb, weil sie zum ersten Mal in ihrem erwachsenen Leben finanziell abhängig ist. Er ist dauerüberfordert. Er versteht nicht, was daran so schwierig sein soll. Sie hat doch alles.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor