Dr. Klaus Heer

Blick.ch vom 6. April 2017
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«Solche Paare brauchen und verbrauchen einander»

Ex-Spice-Girl Mel B. litt in der Ehe mit Stephen Belafonte Höllenqualen. Laut Gerichtsakten behauptet die Sängerin, er habe sie geschlagen und zu Sex gezwungen. Warum liess sich Scary Spice zehn Jahre lang so behandeln? Paartherapeut Klaus Heer über Gewalt in Beziehungen – und wie man aus ihr ausbricht.

VON VANJA KADIC
BLICK: Mel B. ist in der Öffentlichkeit als besonders taffe Frau bekannt, bekam bei den Spice Girls sogar den Spitznamen Scary Spice. Warum lässt sich eine starke, selbstbewusste Frau von ihrem Partner so schlecht behandeln?
Klaus Heer: Kein Mensch kapiert das. Weder die Umgebung, noch die betroffene Frau selbst. Eine Beziehung ist eine Blackbox. Fachleute wie ich sind zwar geschwätzig zum Thema, aber in Wirklichkeit hilflos. Es gibt höchstens Vermutungen.

Gemäss Mel B. hat ihr Mann sie oft zusammengeschlagen, wenn sie etwa im Beruf Erfolgserlebnisse hatte – um zu markieren, dass er die Kontrolle hat. Was steckt hinter diesem Muster?
Wir haben es hier mit einseitigen Presseberichten zu tun. Vom denunzierten Mann wissen wir nichts. Was sich in den vier Wänden der beiden wirklich abspielte, bleibt deren Geheimnis. Mehr noch: Die zwei haben die Szenen garantiert voll unterschiedlich erlebt. So total anders, als wären sie nicht beide dabei gewesen.
Aber es gibt doch Muster, wie es zu solchen Szenen kommt.
Ja, jeder Ausbruch von häuslicher Gewalt hat eine Vorgeschichte. Physischer Gewalt geht psychische Gewalt voraus. An diesem Muster sind beide beteiligt. Aber Achtung: Häusliche Gewaltanwendung ist niemals entschuldbar. Sie ist bei uns seit 2004 zu Recht ein Offizialdelikt und damit strafbar.

Kommt es häufig vor, dass sich gewalttätige Leute von ihrem Partner eingeschüchtert fühlen?
Viel häufiger als man denkt. Bereits eine einmalige Tätlichkeit verbreitet ein dauerhaftes Beziehungsklima der Angst. Sobald nämlich wieder ein Zank losbricht, muss man damit rechnen, dass er neuerlich entartet. Ist die rote Linie einmal überschritten, kann das jederzeit wieder passieren.
Erst jetzt, nach zehn Jahren, hat Mel B. ihren Mann verlassen. Warum machen Frauen – oder Männer, die Gewalt erleben – so etwas so lange mit?
Das ist überhaupt nicht aussergewöhnlich. Einerseits können solche Paare weder miteinander noch ohne einander sein. Sie sind hoffnungslos aneinandergekettet. Sie brauchen und verbrauchen einander. Von aussen ist das ebenso unverständlich, wie es einst die Verliebtheit war. Liebe und Liebesnot folgen undurchdringlichen Gesetzen.

Warum sagte Mel B., die nun um ihre eigene Sicherheit und die ihrer drei Kinder bangt, in der Öffentlichkeit nichts von der Misshandlung?
Das geht die Öffentlichkeit nichts an. Von ihr ist keine Hilfe zu erwarten. Im Gegenteil. Vor allem für die Kinder ist es ein Fiasko, wenn jeder weiss, dass zu Hause die Hölle los ist. Mögliche Ansprechpartner sind Freunde, therapeutische oder religiöse Fachleute, Anwälte, Behörden, Gerichte.

Kommt man aus dieser Gewaltspirale überhaupt heraus?
Schwerlich. Wenn überhaupt, dann mit fachgerechtem Beistand. Die Weichenstellung – bleiben oder gehen? – ist ein biografischer Riesenschritt, der auf beiden Seiten Angst macht. Für einen Beziehungsneustart braucht es zweimal Ja. Und die Neugestaltung der Liebe ist aufwendig. Wenn die Lösung Loslösung heisst, dann genügt die entschiedene Kündigung eines der Partner. Konkret heisst das: Schluss mit den leeren Kündigungsdrohungen! Bis man den nötigen Mut aufbringt, kann es viele Jahre dauern.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor