Dr. Klaus Heer

3sat Magazin vom 20. Juli 2017
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Was die Liebe braucht

Tanja Gutmann, Moderatorin der neuen Reihe «Liebes Krisen», im Gespräch mit dem bekannten Schweizer Paartherapeuten Dr. Klaus Heer. Über Missverständnisse und Krisen in einer Beziehung – und darüber, wie wichtig es ist, ein offenes Ohr und ein offenes Herz für seinen Partner zu haben.

INTERVIEW: TANJA GUTMANN
In Deutschland, Österreich und der Schweiz werden über 40 Prozent aller Ehen geschieden. Dennoch liegt Heiraten im Trend. Die Zahl der Eheschließungen steigt. Wie erklären Sie sich diesen unerschütterlichen Optimismus?
Natürlich weiss jedes Paar, dass die Ehe keinen besonders guten Ruf hat und häufig ein vertracktes Unternehmen ist. Aber es gibt wohl keine junge Liebe, die sich nicht für die Ausnahme von dieser notorischen Regel hält. Wir zwei sind glücklich, wir machen es besser! Ohne diese ambivalenzfreie Begeisterung füreinander gäbe es wohl keine Hochzeiten mehr.

Es geht nicht mit und auch nicht ohne. Warum sind Beziehungen so vertrackt?
Wir wollen – hol’s der Teufel! – keinesfalls wahrhaben, dass wir selber vertrackt und anstrengend sind. Das sagt uns ja der andere immer wieder. Aber ich bin nahe dran, meine Frau darum zu beneiden, dass sie so einen angenehmen und liebenswürdigen Partner hat. Das ist natürlich verrückt. Mit einem Verrückten zu leben, ist ein ausgesuchtes Kunststück.

Ist es das, was Sie in Ihren Büchern die „Zumutung für den anderen“ nennen?
Ja, die oberste Priorität für einen beziehungs- und liebesfähigen Menschen heisst: Ich bin eine Zumutung für dich, ich weiss es. Erzähl mir, inwiefern. Ich will es wissen.

Leben ein Mann und eine Frau eine Beziehung unterschiedlich? Haben eine Frau und ein Mann unterschiedliche Bedürfnisse?
Jeder Mensch hat eigene, unverwechselbare Beziehungsbedürfnisse. Ich bin mir sicher, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen Menschen viel grösser sind als zwischen den Geschlechtern. Ich verstehe also von meinem Partner keinen Deut mehr, wenn ich ihn in die Geschlechterschublade stecke und diagnostiziere: So sind die Männer, typisch Frau! Im Gegenteil. Ich kenne niemanden, der gern in eine Schublade versenkt wird.

Ich habe aber in den Gesprächen mit den Paaren immer wieder erlebt, dass die Männer eigentlich die emotionaleren und sensibleren sind und die Frauen in der Beziehung die Fäden in der Hand haben. Wie erleben Sie das in den Therapiestunden?
Ihre Erfahrung ist nicht von der Hand zu weisen. Sie entspricht in etwa einem gängigen Genderklischee und scheint unmittelbar einzuleuchten. Aber ich bitte Sie: Menschen sind emotional, sensibel und darauf aus, in der Beziehung die Oberhand zu bekommen und zu behalten – Frauen genauso wie Männer. Hier in meinen Beratungsstunden entdecken beide: Aha, du bist auch bedürftig, empfindsam, schmerzbegabt, gequält von Angst. Wusste ich nicht.

Sind der schweigsame Mann und die diskussionsfreudige Frau ein Klischee oder Alltag in der Paartherapie?
Die beiden machen eben missliebige Erfahrungen miteinander. Es kommt schon vor, dass als Folge davon der Mann schweigsam und die Frau diskussionsfreudig wird. Das hat nicht wirklich etwas mit dem Geschlecht zu tun, obwohl es vielleicht so aussieht. Zu Beginn der Liebesgeschichte sind nämlich beide ganz ähnlich redselig und können vom Austausch nicht genug bekommen. Aber mit der Zeit breiten sich die Unstimmigkeiten auf beiden Seiten aus wie Mehltau auf einer Rose.

Was sind klare Anzeichen, dass in der Beziehung etwas nicht mehr stimmt?
Keine Sorge, Beziehungsklemmen sind unübersehbar! Es nervt, es scheuert, es piekst, es drückt, es brennt. Bis man es kaum mehr aushält. Ja, das ist es: Man kommt an seine Grenzen. Jetzt könnte man sich überlegen, aktiv zu werden.

Wie aktiv werden?
Reden. Mit einem vertrauten Menschen, mit einem Freund, einer Freundin. Vielleicht sogar mit dem eigenen Partner, auch wenn das sicher am stressigsten ist. Eventuell mit einem Psychoprofi.

«Reden ist Silber, Schweigen ist Gold». Was gibt es aus Sicht des Paartherapeuten zu diesem Sprichwort zu sagen?
Hier irrt der Volksmund. Der Spruch tut so, als wäre Verstummen besser als Reden. Das ist falsch. Zuhören ist das pure Gold des Austausches zwischen zwei Menschen, die sich lieben. Und Zuhören ist Stille, nicht Stummheit. Mitschwingen, nicht Argumentieren.
Gibt es so etwas wie die drei Todsünden für eine Beziehung?
Sie meinen wohl Hauptversäumnisse, Hauptschnitzer in Partnerschaften. Erstens: Ich will partout nicht hören, was du sagst. Also ich weiss mit deinen Vorwürfen nichts anzufangen. Zweitens: Alles im Leben ist mir wichtiger als unser Zusammenleben. Also habe ich keine Zeit für das Du und ich. Drittens: Ich erwarte von unserer Beziehung einen Beitrag zu meinem Glück und bin mir dessen nicht einmal bewusst.

Gegenseitige Schuldzuweisungen bestimmen viele Streitigkeiten in einer Beziehung und lassen die Paare frustriert zurück. Wie können sie sich aus dieser Zwickmühle befreien?
Das ist mehr als eine Zwickmühle. Ein Teufelskreis ist’s. Ich gebe dir die Schuld für meinen Beziehungsfrust, du weist meine «Anklage» ab, das macht mich noch frustrierter, meine Beschuldigung wird massiver und so weiter. Die Lösung besteht darin, dass ich dringend lernen muss, Vorwürfe zu hören, ohne in den Verteidigungsreflex zu verfallen. Jede Anklage enthält eine Klage. Mein Partner klagt über sein Unglück, das er im Moment mit mir erlebt. Er ist darauf angewiesen, dass ich für seinen Liebeskummer ein offenes Ohr und ein offenes Herz habe.

Muss man sich immer wieder, jeden Tag, neu entscheiden für den Partner?
Das klingt arg romantisch. In Wirklichkeit kommt jedes Paar von Zeit zu Zeit an einen Punkt, wo man sich für den Partner entscheiden muss. Oder auch gegen ihn. Beides – Bleiben oder Gehen – muss möglich sein, sonst wäre die Ehe ein Gefängnis. Denn die Liebe ist das Kind der Freiheit. Und es ist gut zu wissen: Ein wirklich gutes Paar erkennt man daran, dass es immer wieder einen gründlichen Neuanfang wagt. Alle paar Monate oder Jahre.

Kommt es vor, dass Sie Paaren auch mal zur Trennung raten?
Bisher ist mir das noch nie passiert. Das käme mir als ein zu wuchtiger Eingriff in das Leben zweier Menschen vor, ein Übergriff wär’s wohl. Im schlimmsten Fall würden die beiden meinen Rat befolgen; diese Verantwortung möchte ich aber nicht übernehmen. Andernfalls blieben sie entgegen meiner Empfehlung zusammen. Auf diese Blamage hätte ich aber auch keine Lust. So oder so: Ich kenne das Paar ja kaum, und meine Aufgabe ist es, den beiden beizustehen, wenn sie miteinander ihre Paarrealität unerschrocken scannen, so lange und so wach und unerschrocken, bis sie erkennen, was der nächste Schritt sein wird.

Wann kann eine Trennung ein sinnvoller Schritt sein?
Richtig ist eine Trennungsentscheidung, wenn einer von beiden klar sieht, dass es für ihn richtig ist, sich zu trennen. Zum Beispiel weil die Liebe verblüht oder verdorrt oder zerstört ist. Eine Trennung ist selten einvernehmlich und immer schmerzhaft. Meistens eröffnet sie aber Spielraum für ein neues Leben.

Online-Partnerbörsen stellen uns in Aussicht, den Traummann oder die Traumfrau zu finden. Viele Singles vertrauen eher diesem Versprechen als den Begegnungen im Alltag. Zu Recht?
Ganz zu Unrecht. Internetpartnerbörsen wollen uns erzählen, «wissenschaftliche» Methoden machten es möglich, die Chancen einer gelingenden Liebe zu optimieren. Das sind haltlose kommerzielle Argumente, die einzig dem wirtschaftlichen Erfolg der Anbieter dienen. In Wirklichkeit ist es irrelevant, wie sich zwei Menschen kennenlernen, ob digital oder analog, ob in einem Glücksrausch oder eher nüchtern. Das wetterfeste Glück zweier Menschen ist voll und ganz demokratisiert: Jedes Paar ist seines Glücks fleissiges Schmiedepaar.

Gibt es ein Rezept für eine glückliche Beziehung?
Nein.

Nein?

Doch! Unser Rezept für Glück in der Liebe könnte vielleicht lauten: Wir zwei suchen unser ganzes gemeinsames Leben lang nach unserem Rezept für unsere Liebe. Das macht Freude.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor