Dr. Klaus Heer

Feelgood's news September 2017
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«Auf der Suche nach Zweisamkeit»

Bei älteren Menschen denkt die Gesellschaft, dass bei Ihnen Liebe und Sexualität keine Rolle mehr spielen. Heute jedoch nehmen sich auch ältere Leute das Recht heraus, nach einer Trennung oder dem Tod des Partners eine neue Beziehung einzugehen.

VON URS MARTIN
«Seniorinnen und Senioren werden als erotisch neutral wahr- genommen, als Omas und Opas, die mit den Enkeln spazieren gehen und am Wochenende Streuselkuchen backen.» So das Zitat aus einem Artikel der SonntagsZeitung vom 16. April 2017.

Zeit und Neugier

Sind Liebe und Sexualität im Alter immer noch ein Tabu? «Nein», meint der Paartherapeut Klaus Heer. «Es wird häufig über dieses Thema geschrieben oder gesprochen, allerdings wollen sich die Betroffenen oft nur ungern öffentlich zu ihren persönlichen Erfahrungen äussern.»

Dies scheint verständlich, denn manche Beziehung hat sich im Laufe der Jahre totgelaufen. «Damit die gegenseitige Anziehung erhalten bleibt, braucht es nämlich Zeit füreinander und eine anhaltende Neugier; das altgriechische Wort Eros lässt sich mit Neugier übersetzen», so Klaus Heer. Das Interesse für den anderen fehle allerdings oft schon bei jüngeren Menschen: «Nach meiner Erfahrung sind vielen Handy, Internet oder Fernsehen wichtiger als Sex, nicht nur den älteren Menschen.»

Es geht nicht nur um Sex

Die Sexualität ist jedoch nur ein Aspekt: Die in der SonntagsZeitung zitierte Erika Dietiker (67) würde sich einfach einen Partner wünschen, um gemeinsame Interessen zu teilen und nicht immer allein zu sein: «Wenn ich vom Kino nach Hause komme, ist keiner da, mit dem ich über den Film reden könnte», bedauert sie. Wie ihr geht es vielen Menschen. Gegenwärtig leben in der Schweiz rund 400’000 Personen über 65 als Singles und die Zahl steigt weiter: Jährlich lassen sich über 3000 Pensionärinnen und Pensionäre scheiden. Hinzu kommen all jene, die ihren Partner oder ihre Partnerin durch einen Todesfall verloren haben.
Früher kam eine Scheidung kaum in Frage und eine betagte Witwe oder ein Witwer musste versuchen, sich mit der traurigen Situation abzufinden. Es hätte ohnehin kaum eine Möglichkeit gegeben, etwas daran zu ändern: Die Moralvorstellungen waren streng und besonders in einem Dorf stand jeder unter ständiger Beobachtung, ausserdem waren Kontakte über den eigenen Wohnort hinaus beschränkt.

(Allzu) wählerisch?


Das ist heute anders, zum einen, weil die Sitten freier geworden sind. «Wer heute alt ist, hat in den 1970er- Jahren eine gewisse sexuelle Freizügigkeit miterlebt und viele wollen im Alter nicht hinter das damals Erreichte zurückbuchstabieren,» sagt Klaus Heer. Auch die Möglichkeiten, andere Menschen kennenzulernen, haben sich erweitert. Eine wichtige Rolle kommt heute den Partnerschaftsvermittlern im Internet zu, wobei hier auf die Seriosität zu achten ist. Seit zwei Jahren gibt es in der Deutschschweiz die Vermittlungsorganisation «Date-a-rentner», die sich speziell an eine ältere Kundschaft richtet und gemäss eigenen Angaben jeden Monat rund 100 neue Nutzerinnen und Nutzer verzeichnen kann.

Laut den Untersuchungen der Entwicklungspsychologin Prof. Dr. Pasqualina Perrig-Chiello unterscheiden sich Männer und Frauen bei der Suche nach einer neuen Partnerschaft allerdings: Während verwitwete oder geschiedene Männer die Tendenz haben, möglichst schnell wieder «unter die Haube» zu kommen und auch mit der neuen Partnerin bald zusammenziehen möchten, wollen Frauen ihre Unabhängigkeit vielfach behalten. Dadurch, und weil Männer in der Regel jüngere Partnerinnen vorziehen, vermindern sich ihre Erfolgschancen bei einer Partnersuche.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor