Dr. Klaus Heer

Blick.ch vom 13. Oktober 2017
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«Muss Weinstein jetzt nach Plan onanieren?»

Hollywood-Produzent Harvey Weinstein will sich wegen seiner Sexsucht helfen lassen. Wie läuft so eine Behandlung ab? Sexualtherapeutin Gabriela Kirschbaum und Paartherapeut Klaus Heer klären auf.

VON VANJA KADIC
Die Liste der Frauen, die behaupten, von Hollywood-Produzent Harvey Weinstein (65) sexuell belästigt oder vergewaltigt worden zu sein, wird immer länger. Nun will sich der Grüsel in Arizona wegen seiner Sexsucht behandeln lassen – und sich Hilfe holen, um seine «inneren Dämonen» zu bekämpfen (BLICK berichtete).

«Im Fall Weinstein handelt es sich um sexualisierte Macht und Gewalt»

Doch was ist Sexsucht überhaupt? Ist der Begriff nur eine faule Ausrede oder tatsächlich eine Krankheit? «Als Paartherapeut kenne ich ‹Sex-Sucht› vor allem als Schimpfwort. Ähnlich wie ‹frigid› oder ‹impotent›. Mit solchen Wortwaffen kann man seinen Partner fertigmachen. Manchmal auch sich selbst», sagt Klaus Heer (74), Paartherapeut in Bern. «Im Fall Weinstein handelt es sich um gewohnheitsmässige sexualisierte Macht und Gewalt, nicht um Sexsucht.» 

Kann man wirklich an Sexsucht erkranken? «Günstiger ist der Begriff ‹Hypersexualität›. Ein Hypersexueller – meistens sind es tatsächlich Männer – leidet darunter, dass er hoffnungslos fixiert ist auf Sex», so Heer.

Das heisst konkret: «Er braucht immer mehr davon, ohne dass es ihm Befriedigung brächte. Je mehr er die Sex-Dosis steigert, umso stärker wächst der Beziehungs- und Sex-Stress. An ein gewöhnliches Funktionieren im Alltag ist schliesslich nicht mehr zu denken.»

Selbstbefriedigung nach Tagesplan

Um solch «dranghaft erlebte Sexualität» zu therapieren, gebe es verschiedene Herangehensweisen, ergänzt Sexualtherapeutin Gabriela Kirschbaum (55) von der Praxis für Sexualtherapie und Paarberatung in Brugg AG. Kurzfristig könne man den Klienten beim Erstellen eines Tagesplans unterstützen und für kurze Momente der Entspannung und Ablenkung anregen, wie etwa Sport, jemanden treffen, Selbstbefriedigung, rasch laufen und gut atmen.

«Mittelfristig geht es darum, die körperlichen Signale, die den dranghaften Handlungen vorausgehen, wahrzunehmen», so die Expertin weiter. Wichtig sei, einen Ausgleich zu finden – und sexologische Inputs zu erhalten, wie er mit mehr eigener Körperaktivität «zu mehr Befriedigung und Entladung» gelange.

Eigene Werte finden, eigene Wege gehen

Um den Sexdrang schliesslich langfristig therapieren zu können, müsse der Klient seine «darunterliegenden Sehnsüchte und Bedürfnisse» erkennen, die häufig im nichtsexuellen Bereich liegen würden, so die Fachfrau. «Es geht darum, eigene Werte zu finden, körperliche und psychische Nähe zur Partnerin, zum Partner, zu Freunden, eigene Wege zu gehen, anstatt nur gesellschaftliche Normen zu erfüllen.»
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor