Dr. Klaus Heer

Länggassblatt 219 vom Februar 2013
Stacks Image 94113

«Ohren auf!»

Der Paartherapeut, Psychologe und Buchautor Klaus Heer hat der Redaktion Einblicke in seine Arbeit gewährt. Er zeigt, dass das Sprichwort «Reden ist Silber, Schweigen ist Gold» seine Berechtigung hat – allerdings nur dann, wenn man beim Schweigen auch hinhört, mit Ohr und Herz.

INTERVIEW: ROSWITHA MENKE
Wer Ihre Webseite besucht, kann sich zunächst einmal mit einer Fülle von Worten beregnen lassen, die Sie beschreiben. Oder die beschreiben, was Sie tun. Warum brauchen wir, brauchen Sie, so viele Worte?

Die Homepage ist meine Produktdeklaration. Die Paare müssen wissen, was ich anbiete. Und zwar so klar und unmissverständlich wie möglich; denn mein Angebot ist komplexer als die Zusammensetzung einer Toblerone. Meine Klientenpaare schätzen das. Wenn sie das erste Mal zu mir kommen, kennen sie mich besser als ich sie. Das erleichtert ihnen den schwierigen Gang.

Gibt es das denn: Dass Paare kommen und ganz klar sagen «wir hätten Sie jetzt gern als Schatzsucher»?

Dass sie sich noch so viel Humor bewahrt haben, ist eher selten. Dazu sind ihre Paarthemen zu drängend und die Therapiesituation zu ungewohnt. Mir aber macht beides fast keine Angst, und ich frage meistens sofort, was die beiden denn heute am liebsten von hier mit nach Hause nehmen möchten.

Nehmen die Paare denn das mit, was sie mitnehmen möchten? Ich hätte vermutet, dass man die eine oder andere Erkenntnis und so etwas wie Hausaufgaben mitnimmt. Es ist doch sicher nicht damit getan, regelmässig mit dem Therapeuten zusammenzusitzen und über Themen zu sprechen, über die man sonst nicht redet?

Ihre Vermutungen sind richtig. Ich will beides: Mann und Frau genau dort abholen, wo ihre Wünsche und Sehnsüchte sind und gleichzeitig Neues anstossen. Die Gespräche bei mir unterscheiden sich extrem von dem, was die beiden in ihren vier Wänden tun: einander erbarmungslos zutexten oder aber sich verzweifelt anschweigen. Hier ist nämlich jemand – ich! -, den es sehr interessiert, was gesagt wird. Zu Hause gibt es niemanden, der das hören will.

Ist es immer ein Ziel der Therapie, dass sich das ändert? Dass es am Ende bestenfalls zwei Personen gibt, die sich sehr dafür interessieren, was die und der andere sagt?

Ja, klar! Was ist denn das für eine Liebe, die nicht hören will, wie der andere sich zeigt? Sie ist abgestanden, vertrocknet, verhärtet, verkrampft, intim verfeindet. Dieser Zerfallsprozess kann aber bereits so weit fortgeschritten sein, dass ein anderes Therapieziel ins Blickfeld rückt: der Abschied. Das nahende Ende der Beziehung kann genauso herausfordernd oder überfordernd sein wie ein Neustart. Ob die Beziehung eine Chance bekommt oder nicht, ist vielleicht die anspruchsvollste Weichenstellung, vor der ein Paar stehen kann.

Es gibt also – und das entspricht möglicherweise der Erfahrung vieler Leserinnen und Leser – Situationen, in denen es besser ist, zu gehen als zu bleiben. Wenn ich Sie richtig verstehe, gibt es aber gute und schlechte Abschiede. Und wer wenigstens am Schluss wirklich miteinander redet, erlebt einen besseren Abschied und kann den tiefen Trennungsschmerz mitsamt der Enttäuschung, der Wut, der Schuld ... eher annehmen und umarmen?
Sterben und Tod sind etwas ganz Einsames. Miteinander reden kommt höchstens an zweiter Stelle. Wenn die Partner einander wirklich voll losgelassen und ihre Verklebungen gelöst haben, ist es überhaupt möglich, Kontakt miteinander aufzunehmen und versöhnliche und fruchtbare Rückschau zu halten.

Das macht auf mich den Eindruck, als sei das ohne einen neutralen Versteher, Schatzsucher, Simultanübersetzer überhaupt nicht möglich.

(Lacht) Bisher ist das Sterben noch ausnahmslos jedem Menschen gelungen. Trennungen sind elementare Tatsachen des Lebens, und das Leben selbst ist die potenteste Therapie. Es zeigt uns doch gern, dass jedes Ende immer auch ein Neuanfang ist, der uns mit der Zeit mit vielem zu versöhnen vermag, was unerträglich schmerzhaft schien.

Wünschen wir uns also, dass alle rechtzeitig erkennen, was das Leben ihnen so zeigt! Ich würde gern auf das Thema Sprache zurückkommen. Wenn einem zur rechten Zeit die richtigen Worte zur Verfügung stehen, hat man es bedeutend leichter. Warum ist das Sprechen in einer Beziehung, und erst recht noch im Bett für uns so schwierig?

Sobald wir mit den unausweichlichen Belastungen des Liebesalltags konfrontiert sind, knüpfen wir an die Sprache utopische Erwartungen. Reden soll uns – und besonders mich – von den lästigen Schwierigkeiten befreien und zwar subito. Wenn das nicht geschieht, werden wir missmutig oder stumpf.

Dafür müsste man doch aber erst mal reden. Und wenn die Worte fehlen?

Es fehlen keinesfalls die Worte, im Gegenteil. Es fehlen die Ohren. Unser Drang, in «Gesprächen» die Dinge «richtig zu stellen», ist ein elender Zwang. Immer müssen wir etwas «dazu» sagen. Wer hat schon entdeckt, dass er still werden und hinhören könnte? Dem anderen den Platz schaffen müsste, den die Liebe ihm zur Verfügung stellen möchte.

Wenn es das ist, das Menschen aus Ihrer Praxis mit nach Hause nehmen, dann ist das wahrscheinlich eine verdiente Belohnung dafür,
dass sie den schwierigen Gang unternommen haben.

(Schmunzelt) Nun, so schwierig ist der Gang auch wieder nicht. Sonst würde hier nicht so viel gelacht. Der Gang hierher ins Neufeld müsste ein mutiger Schritt sein. Mut ist ein Synonym für Intimität. Nur beherzte Menschen haben‘s wirklich gut miteinander.

Das ist ein schöner Abschluss! Ich danke Ihnen herzlich für das beherzte Gespräch.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor