Neue Luzerner Zeitung vom 25. Juni 2013
«Geheimcode» für Liebende
SPRACHE Wenn Verliebte miteinander reden, verstehen Dritte oft nur Bahnhof. Individuelle Turtelsprachen stärken Paare und grenzen sie gegen aussen ab. Wenn man es damit aber übertreibt, kann es problematisch werden.
TEXT: ANNETTE WIRTHLIN
TEXT: ANNETTE WIRTHLIN
In einem Internet-Forum schreibt eine 32-jährige Frau: «Es fing harmlos an, als wir ganz frisch zusammen waren. Wir kuschelten auf der Couch und schauten uns einen Film an, als ich versehentlich eine Wasserflasche umstiess. Da sagte mein Freund in so einer Quietsche- Stimmlage: ‹Ooooh, hat mein Mausibär ins Bettchen gemacht?› Ich bin natürlich voll darauf eingestiegen, und seither unterhalten wir uns nahezu permanent drei Stimmlagen höher und mit dem Wortschatz eines Dreijährigen.»
Ähnlich verhält es sich bei Jonathan und Kassandra, einem Liebespaar, das in einem Artikel der «Süddeutschen Zeitung» porträtiert wurde. Nach einer gelungenen Dinnerparty in ihrem Haus stehen der Arzt und die PR-Managerin in ihren Schlaf-T-Shirts im Badezimmer und führen in einer an die ARD-Mainzelmännchen erinnernden Stimmlage das folgende Gespräch. Er: «Kassi, meine Kleine, gib doch mal dem Jonni seine Zahnbürste, liebe liebe Kassuela.» Sie: «Da, mein Jonnilein, und putz dir deine Zähnchen ganz doll, ja, damit der böse Kariesmann dir heut Nacht keine Löcher reinbohrt.»
«Wir gehören zueinander»
«Es bedient sich wohl eine Mehrheit aller Paare einer Art Privatsprache», vermutet Klaus Heer, der Paartherapeut aus Bern, der unter anderem das bekannte Buch «Wonneworte» (über das Reden über Sex) geschrieben hat. «Meistens», so vermutet er, «geht es um die Spurenelemente aus der frühen Liebesgeschichte, die den nüchternen Alltag überlebt haben.» Doch welchen Zweck erfüllt so eine paarinterne Sprache in einer Beziehung? «Ein Paar sein heisst ein exklusives Innenleben haben, das nur dir und mir gehört», erklärt Heer. «Ein Grossteil unseres lebenswichtigen Paaraustauschs geschieht über die Sprache. Dass wir miteinander reden und wie wir das tun, definiert weitgehend unsere Identität als Paar.» Je eindeutiger wir miteinander sprachlich verbunden seien, so Heer, desto deutlicher würden wir unsere Intimitätsgrenzen gegen aussen ziehen. Das gebe uns so etwas wie eine Liebessicherheit. «Gegen aussen machen wir klar, dass wir zusammengehören. Ja vielleicht sogar: Wir gehören einander!»
Dass Verliebte zu individualisierten Privatsprachen neigen, ist zwar ein allseits bekanntes Phänomen, psychologisch und sprachwissenschaftlich ist es jedoch wenig erforscht worden. Eine einschlägige Studie – oder gar die einzige? – ist bereits älteren Datums, sie erschien 1978. Das Buch mit dem Titel «Paar und Sprache» ist heute vergriffen, der Autor Ernst Leisi, ein Zürcher Sprachwissenschaftler, seit längerem verstorben. Er kommt darin zum Schluss, dass eine Paarsprache – er nennt sie auch «Privatcode» – ein untrennbarer Teil einer nahen Beziehung von zwei Menschen ist, ohne dass sich dabei genau bestimmen lasse, ob die Sprache aufgrund der Nähe oder die Nähe aufgrund der Sprache entsteht.
Keiner wills zugeben
«Wenn meine Freundin so zu mir spricht, weiss ich, dass mit ihr und unserer Beziehung alles o. k. ist», sagte einmal vor Jahren ein Bekannter, der mit seiner Liebsten sehr konsequent in einer ganz sonderlichen Pärchensprache kommunizierte – durchaus auch wenn andere mithörten. Wenn er das Telefon abnahm, war jeweils innert Sekunden klar, wer am anderen Ende war. Alles veränderte sich schlagartig: Stimme, Tonfall, Vokabular – sogar sein Gesichtsausdruck. Wenn sie sich auseinander- leben würden, war mein Bekannter überzeugt, könnte er diese Sprache nicht mehr mit ihr verwenden. Es sei für sie ein Zeichen der Verbundenheit und des Vertrauens.
Pärchensprache hat jeder schon beobachtet, nur will keiner zugeben, dass er sich auch selber dabei ertappt. Eine kurze Umfrage im Kollegenkreis im Vorfeld zu diesem Artikel ergab nur immer wieder die gleiche Reaktion: «Ich? Wie bitte? Pärchensprache? Never!» Klaus Heer analysiert: «Vielen Paaren ist wohl gar nicht bewusst, dass sie sich teil- weise einer paarinternen Sprache bedienen. Wenn man sie darauf anspricht, ist das leicht beschämend. Es dringt etwas an die Öffentlichkeit, das nur für den internen Gebrauch bestimmt ist.»
Ähnlich verhält es sich bei Jonathan und Kassandra, einem Liebespaar, das in einem Artikel der «Süddeutschen Zeitung» porträtiert wurde. Nach einer gelungenen Dinnerparty in ihrem Haus stehen der Arzt und die PR-Managerin in ihren Schlaf-T-Shirts im Badezimmer und führen in einer an die ARD-Mainzelmännchen erinnernden Stimmlage das folgende Gespräch. Er: «Kassi, meine Kleine, gib doch mal dem Jonni seine Zahnbürste, liebe liebe Kassuela.» Sie: «Da, mein Jonnilein, und putz dir deine Zähnchen ganz doll, ja, damit der böse Kariesmann dir heut Nacht keine Löcher reinbohrt.»
«Wir gehören zueinander»
«Es bedient sich wohl eine Mehrheit aller Paare einer Art Privatsprache», vermutet Klaus Heer, der Paartherapeut aus Bern, der unter anderem das bekannte Buch «Wonneworte» (über das Reden über Sex) geschrieben hat. «Meistens», so vermutet er, «geht es um die Spurenelemente aus der frühen Liebesgeschichte, die den nüchternen Alltag überlebt haben.» Doch welchen Zweck erfüllt so eine paarinterne Sprache in einer Beziehung? «Ein Paar sein heisst ein exklusives Innenleben haben, das nur dir und mir gehört», erklärt Heer. «Ein Grossteil unseres lebenswichtigen Paaraustauschs geschieht über die Sprache. Dass wir miteinander reden und wie wir das tun, definiert weitgehend unsere Identität als Paar.» Je eindeutiger wir miteinander sprachlich verbunden seien, so Heer, desto deutlicher würden wir unsere Intimitätsgrenzen gegen aussen ziehen. Das gebe uns so etwas wie eine Liebessicherheit. «Gegen aussen machen wir klar, dass wir zusammengehören. Ja vielleicht sogar: Wir gehören einander!»
Dass Verliebte zu individualisierten Privatsprachen neigen, ist zwar ein allseits bekanntes Phänomen, psychologisch und sprachwissenschaftlich ist es jedoch wenig erforscht worden. Eine einschlägige Studie – oder gar die einzige? – ist bereits älteren Datums, sie erschien 1978. Das Buch mit dem Titel «Paar und Sprache» ist heute vergriffen, der Autor Ernst Leisi, ein Zürcher Sprachwissenschaftler, seit längerem verstorben. Er kommt darin zum Schluss, dass eine Paarsprache – er nennt sie auch «Privatcode» – ein untrennbarer Teil einer nahen Beziehung von zwei Menschen ist, ohne dass sich dabei genau bestimmen lasse, ob die Sprache aufgrund der Nähe oder die Nähe aufgrund der Sprache entsteht.
Keiner wills zugeben
«Wenn meine Freundin so zu mir spricht, weiss ich, dass mit ihr und unserer Beziehung alles o. k. ist», sagte einmal vor Jahren ein Bekannter, der mit seiner Liebsten sehr konsequent in einer ganz sonderlichen Pärchensprache kommunizierte – durchaus auch wenn andere mithörten. Wenn er das Telefon abnahm, war jeweils innert Sekunden klar, wer am anderen Ende war. Alles veränderte sich schlagartig: Stimme, Tonfall, Vokabular – sogar sein Gesichtsausdruck. Wenn sie sich auseinander- leben würden, war mein Bekannter überzeugt, könnte er diese Sprache nicht mehr mit ihr verwenden. Es sei für sie ein Zeichen der Verbundenheit und des Vertrauens.
Pärchensprache hat jeder schon beobachtet, nur will keiner zugeben, dass er sich auch selber dabei ertappt. Eine kurze Umfrage im Kollegenkreis im Vorfeld zu diesem Artikel ergab nur immer wieder die gleiche Reaktion: «Ich? Wie bitte? Pärchensprache? Never!» Klaus Heer analysiert: «Vielen Paaren ist wohl gar nicht bewusst, dass sie sich teil- weise einer paarinternen Sprache bedienen. Wenn man sie darauf anspricht, ist das leicht beschämend. Es dringt etwas an die Öffentlichkeit, das nur für den internen Gebrauch bestimmt ist.»
«Ein Grossteil unseres Paaraustauschs geschieht über die Sprache»
Dabei ist, wer sich mit seinem Liebsten in einer Pärchensprache unterhält, in bester Gesellschaft: Niemand Minderes als Wolfgang Amadeus Mozart schrieb am 6. Juli 1791 seiner Frau Constanze einen Brief, den er mit folgender Geheimnachricht beendete: «Dein Stu! Knaller paller Schnip-schnap-schnur Schnepeperl Snai.» Und aus ihm ist schliesslich auch was Rechtes geworden.
Die Privatcodes von Paaren können in alle möglichen Ebenen der Sprache Einzug halten. Das Offensichtlichste ist der Tonfall, der auffallend oft ins Kindliche kippt. Beabsichtigte Fehlaussprachen machen diesen Babytalk noch komplett ; etwa wenn die bereits zitierte Kassandra ihrem Jonathan beim Nachhausekommen zuruft: «Bin andedommt!» Dass das Abdriften ins Babygebrabbel so häufig ist, erklärt Klaus Heer folgendermassen: «Die Leichtigkeit des kindlichen Seins erlebt man in der Verliebtheit besonders lustvoll. Die meisten Paare möchten von diesem Unbeschwerten und Verspielten möglichst viel möglichst lange erhalten. Sie hoffen, damit das Wuchern der Paarprobleme zurückzudrängen und den Zerfall der emotionalen Komfortzone aufzuhalten.»
Wird man Zeuge eines Gesprächs in Pärchensprache – oder analysiert einmal nüchtern sein eigenes infantiles Gebrabbel mit dem Partner – so stellt man fest : Da werden Satzstellungen verdreht, grammatikalische Regeln gebrochen, Laute verfremdet und neue Wörter geschöpft en masse. Im Extremfall kann sich, wie Professor Ernst Leisi schreibt, eine Paarsprache zum richtiggehenden Dialekt ausbilden.
Die Privatcodes von Paaren können in alle möglichen Ebenen der Sprache Einzug halten. Das Offensichtlichste ist der Tonfall, der auffallend oft ins Kindliche kippt. Beabsichtigte Fehlaussprachen machen diesen Babytalk noch komplett ; etwa wenn die bereits zitierte Kassandra ihrem Jonathan beim Nachhausekommen zuruft: «Bin andedommt!» Dass das Abdriften ins Babygebrabbel so häufig ist, erklärt Klaus Heer folgendermassen: «Die Leichtigkeit des kindlichen Seins erlebt man in der Verliebtheit besonders lustvoll. Die meisten Paare möchten von diesem Unbeschwerten und Verspielten möglichst viel möglichst lange erhalten. Sie hoffen, damit das Wuchern der Paarprobleme zurückzudrängen und den Zerfall der emotionalen Komfortzone aufzuhalten.»
Wird man Zeuge eines Gesprächs in Pärchensprache – oder analysiert einmal nüchtern sein eigenes infantiles Gebrabbel mit dem Partner – so stellt man fest : Da werden Satzstellungen verdreht, grammatikalische Regeln gebrochen, Laute verfremdet und neue Wörter geschöpft en masse. Im Extremfall kann sich, wie Professor Ernst Leisi schreibt, eine Paarsprache zum richtiggehenden Dialekt ausbilden.
Ausläufer des Sexualtriebs
Ob sich ein Paar eine individuelle Sprache zulegt oder nicht, und wenn ja, in welchem Ausmass, ist eine Frage der Verspieltheit. Da der Spieltrieb oft als Teil des Sexualtriebs verstanden wird, vermutet Leisi, dass auch das Sprach- spiel ein Ausläufer davon sein könnte. Denn, so Leisi: «Spiel und Paarung gehören notwendigerweise – schon biologisch – zusammen.»
Und wie die Paarung selber ist Pärchensprache für Unbeteiligte bekanntlich nur mässig interessant – und führt bei diesen immer wieder zu Kopfschütteln. Wie bei jenem Vater zum Beispiel, der langsam am Verstand seiner Tochter zu zweifeln begann, als diese mit ihrem neuen Freund nur noch in einer absurden Comicsprache kommunizierte: Sie soll ihm jeweils Dinge zugeflötet haben wie «Grrrrr – isch liebn disch». «Einfach nur peinlich», fand der Vater.
«Meistens kommt die hemmungslos praktizierte sprachliche Eigentümlichkeit eines Paares nicht sonderlich gut an bei aussenstehenden Zuhörern», sagt Klaus Heer. Es nerve, weil es oft lächerlich und infantil wirke. Und weil es eben überhaupt nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sei. Der Therapeut empfiehlt deshalb, in der Öffentlichkeit wenn möglich darauf zu verzichten. Es ist schliesslich auch vorstellbar, dass sich der eine Partner verraten fühlt, wenn die bessere Hälfte den wohlgehüteten «Geheimcode für zwei» plötzlich im Beisein Dritter verwendet.
Pärchensprache hilft Paaren, sich gegen aussen abzugrenzen, sie überbrückt aber auch Sprachhemmungen innerhalb der Zweierbeziehung. Wenn es darum geht, Probleme anzusprechen – etwa im sexuellen Bereich – fällt es leichter, wenn man auf einen verniedlichenden Wortschatz und einen fremden Tonfall zurückgreifen kann. «Indem ich etwas Brenzliges stimmlich verändere», erklärt Heer, «mache ich es als szenisches Element kenntlich. Ich definiere es damit um als etwas, das sich gewissermassen auf einer Theaterbühne abspielt. Es bekommt einen spielerischen Charakter und braucht nicht unbedingt so schwer genommen zu werden, wie es klingt.» Wenn es in den falschen Hals gerate, könne man es notfalls entschärfen oder dementieren.
Doch wann ist genug mit Turtelsprache? Der Wechsel zwischen erwachsener Paarkommunikation und symbiotischem Wonneproppen-Gesäusel ist oft eine Gratwanderung. Übertreibt man es mit der Pärchensprache, kann sie schnell zum Ablöscher werden – gerade in der Erotik. Die eingangs erwähnte Forumsteilnehmerin hat durchschaut, dass der Sex durch den ständigen Baby- talk früher oder später zum Erliegen kommen wird. Sie könne es selber sogar bestens nachvollziehen: «Wer möchte schon mit einem ‹gagagugu›-glucksen- den ‹Mausibär› ins Bett gehen? Aber ich schaffe den Sprung von dieser infantilen Person, die ich ständig bin, zur begehrenswerten Frau nicht mehr. Es ist mir fast peinlich, irgendetwas in sexueller Hinsicht zu unternehmen, weil ich denke, dass mein Partner mich nur noch als ‹Kleinkind› wahrnimmt.»
Den Respekt verlieren
«Wenn einem von beiden Partnern der Sprachausdruck des anderen miss- fällt oder richtig auf den Nerv geht», findet Klaus Heer, «dann wird es dringend, ja sogar zwingend, das auf den Tisch zu bringen.» Verpasse man dies, büsse die Sprache ihre verbindende Funktion mehr und mehr ein, und man verliere den Respekt voreinander. Genauso störend oder sogar zerstörend könne es werden, so der Paartherapeut weiter, «wenn die gemeinsame Paarsprache die Kommunikation des Paares gewohnheitsmässig verharmlost und dadurch die Problemthemen dauerhaft umschifft werden. Lösungen sind dann nicht mehr möglich.»
Koseworte, die nicht mehr stimmen
Wenn es mit der symbiotischen Zweisamkeit vorüber ist, kann sich auch das in einer paarinternen Kommunikationsweise niederschlagen, die sich deutlich von der gegenüber Dritten verwendeten Alltagssprache abhebt. Man kennt die Auswüchse: Nachäffen des Partners, falsch verstandene Ironie, aneinander Vorbeireden, Verwenden von Koseworten, die nicht mehr den wahren Empfindungen entsprechen ... In Leisis Buch nimmt das Kapitel «Störungen» eine beachtliche Länge ein. Nicht selten, so der Autor, sei die Art und Weise, wie ein Paar miteinander zu reden pflege, am Ende mit ein Grund für dessen Trennung.
Von dieser Schattenseite der Pärchensprache kann auch Klaus Heer ein Lied singen: «Paare, die einander auf den Geist gehen und richtig allergisch sind aufeinander, drücken das unverwechselbar sprachlich, mimisch und gestisch aus. Sie zeigen einander unverblümt Verachtung, Überdruss, Widerwillen, Aggression und Gleichgültigkeit. Sie schneiden einander das Wort ab, äffen sich nach und verhöhnen sich. Sie zerzausen alles, was der andere gesagt, hat und verwenden ihre Zitate, um sich gegenseitig mit Ironie fertigzumachen.»
Ein solches Sprachverhalten wirkt natürlich ausgesprochen abstossend auf Aussenstehende. Dann im Zweifelsfall also doch lieber zwei, die in der Öffentlichkeit übers Telefon lautmalerische Pseudoworte der puren Glückseligkeit austauschen.
Ob sich ein Paar eine individuelle Sprache zulegt oder nicht, und wenn ja, in welchem Ausmass, ist eine Frage der Verspieltheit. Da der Spieltrieb oft als Teil des Sexualtriebs verstanden wird, vermutet Leisi, dass auch das Sprach- spiel ein Ausläufer davon sein könnte. Denn, so Leisi: «Spiel und Paarung gehören notwendigerweise – schon biologisch – zusammen.»
Und wie die Paarung selber ist Pärchensprache für Unbeteiligte bekanntlich nur mässig interessant – und führt bei diesen immer wieder zu Kopfschütteln. Wie bei jenem Vater zum Beispiel, der langsam am Verstand seiner Tochter zu zweifeln begann, als diese mit ihrem neuen Freund nur noch in einer absurden Comicsprache kommunizierte: Sie soll ihm jeweils Dinge zugeflötet haben wie «Grrrrr – isch liebn disch». «Einfach nur peinlich», fand der Vater.
«Meistens kommt die hemmungslos praktizierte sprachliche Eigentümlichkeit eines Paares nicht sonderlich gut an bei aussenstehenden Zuhörern», sagt Klaus Heer. Es nerve, weil es oft lächerlich und infantil wirke. Und weil es eben überhaupt nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sei. Der Therapeut empfiehlt deshalb, in der Öffentlichkeit wenn möglich darauf zu verzichten. Es ist schliesslich auch vorstellbar, dass sich der eine Partner verraten fühlt, wenn die bessere Hälfte den wohlgehüteten «Geheimcode für zwei» plötzlich im Beisein Dritter verwendet.
Pärchensprache hilft Paaren, sich gegen aussen abzugrenzen, sie überbrückt aber auch Sprachhemmungen innerhalb der Zweierbeziehung. Wenn es darum geht, Probleme anzusprechen – etwa im sexuellen Bereich – fällt es leichter, wenn man auf einen verniedlichenden Wortschatz und einen fremden Tonfall zurückgreifen kann. «Indem ich etwas Brenzliges stimmlich verändere», erklärt Heer, «mache ich es als szenisches Element kenntlich. Ich definiere es damit um als etwas, das sich gewissermassen auf einer Theaterbühne abspielt. Es bekommt einen spielerischen Charakter und braucht nicht unbedingt so schwer genommen zu werden, wie es klingt.» Wenn es in den falschen Hals gerate, könne man es notfalls entschärfen oder dementieren.
Doch wann ist genug mit Turtelsprache? Der Wechsel zwischen erwachsener Paarkommunikation und symbiotischem Wonneproppen-Gesäusel ist oft eine Gratwanderung. Übertreibt man es mit der Pärchensprache, kann sie schnell zum Ablöscher werden – gerade in der Erotik. Die eingangs erwähnte Forumsteilnehmerin hat durchschaut, dass der Sex durch den ständigen Baby- talk früher oder später zum Erliegen kommen wird. Sie könne es selber sogar bestens nachvollziehen: «Wer möchte schon mit einem ‹gagagugu›-glucksen- den ‹Mausibär› ins Bett gehen? Aber ich schaffe den Sprung von dieser infantilen Person, die ich ständig bin, zur begehrenswerten Frau nicht mehr. Es ist mir fast peinlich, irgendetwas in sexueller Hinsicht zu unternehmen, weil ich denke, dass mein Partner mich nur noch als ‹Kleinkind› wahrnimmt.»
Den Respekt verlieren
«Wenn einem von beiden Partnern der Sprachausdruck des anderen miss- fällt oder richtig auf den Nerv geht», findet Klaus Heer, «dann wird es dringend, ja sogar zwingend, das auf den Tisch zu bringen.» Verpasse man dies, büsse die Sprache ihre verbindende Funktion mehr und mehr ein, und man verliere den Respekt voreinander. Genauso störend oder sogar zerstörend könne es werden, so der Paartherapeut weiter, «wenn die gemeinsame Paarsprache die Kommunikation des Paares gewohnheitsmässig verharmlost und dadurch die Problemthemen dauerhaft umschifft werden. Lösungen sind dann nicht mehr möglich.»
Koseworte, die nicht mehr stimmen
Wenn es mit der symbiotischen Zweisamkeit vorüber ist, kann sich auch das in einer paarinternen Kommunikationsweise niederschlagen, die sich deutlich von der gegenüber Dritten verwendeten Alltagssprache abhebt. Man kennt die Auswüchse: Nachäffen des Partners, falsch verstandene Ironie, aneinander Vorbeireden, Verwenden von Koseworten, die nicht mehr den wahren Empfindungen entsprechen ... In Leisis Buch nimmt das Kapitel «Störungen» eine beachtliche Länge ein. Nicht selten, so der Autor, sei die Art und Weise, wie ein Paar miteinander zu reden pflege, am Ende mit ein Grund für dessen Trennung.
Von dieser Schattenseite der Pärchensprache kann auch Klaus Heer ein Lied singen: «Paare, die einander auf den Geist gehen und richtig allergisch sind aufeinander, drücken das unverwechselbar sprachlich, mimisch und gestisch aus. Sie zeigen einander unverblümt Verachtung, Überdruss, Widerwillen, Aggression und Gleichgültigkeit. Sie schneiden einander das Wort ab, äffen sich nach und verhöhnen sich. Sie zerzausen alles, was der andere gesagt, hat und verwenden ihre Zitate, um sich gegenseitig mit Ironie fertigzumachen.»
Ein solches Sprachverhalten wirkt natürlich ausgesprochen abstossend auf Aussenstehende. Dann im Zweifelsfall also doch lieber zwei, die in der Öffentlichkeit übers Telefon lautmalerische Pseudoworte der puren Glückseligkeit austauschen.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor