Dr. Klaus Heer

DenkZeitRaum Universität Graz vom 22. Mai 2014
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Zweisames Glück – Vortrag von Klaus Heer

VON KLAUS HEER
Kurzer Einladungstext für den Vortrag von Klaus Heer:

Miteinander alt werden und glücklich bleiben für immer – das wollen alle Paare. Aber geht das überhaupt, auf Dauer? Was machen wir falsch, wenn sich unser aller Sehnsucht nach verschleißfestem zweisamen Glück als Illusion herausstellt? Der Psychologe und Paartherapeut Klaus Heer denkt im zweiten Denkzeitraum laut über derlei existenzielle Fragen nach und sucht nach neuen Perspektiven.

Ausschreibung für den Vortrag von Klaus Heer:

Glück zu zweit – Ist das überhaupt möglich?

«Was macht Sie glücklich?» Es lässt sich kaum leugnen, dass ein jeder von uns früher oder später schon einmal mit der Frage konfrontiert wurde, ob wir mit unserem Leben wirklich glücklich sind und wenn ja, was genau dieses Glück ausmacht. Umfrageergebnissen der empirischen Glücksforschung zufolge gibt es auf diese Frage tendenziell drei Antworten, die in irgendeiner Form ganz sicher geäußert werden: Familie, Beziehung und Partnerschaft. In Bezug auf die Leitfrage des diesjährigen Denkzeitraums «Wem gehört das Glück?» bedeutet dies, dass Liebe und Paarbeziehung definitiv als potentielle Lösung gelten könnte. Passend zum Thema haben wir daher den Schweizer Paartherapeuten Klaus Heer (*9. Dezember 1943) eingeladen, um mit ihm die Frage zu diskutieren, was Glück mit Liebe zu tun hat und ob man zu zweit überhaupt dauerhaft glücklich werden kann. Dies ist für Heer keine Frage, die einfach zu beantworten ist:

«Ich bin nun schon seit vierzig Jahren mit dem Unglück in Beziehungen beschäftigt. Das ist mein Beruf, und ich bin in der Schweiz einer der Wenigen, der ausschließlich in diesem Bereich praktiziert. Und trotz dieser doch ziemlich langen Berufserfahrung staune ich immer wieder, wie unklar die Antwort auf diese Frage noch immer geblieben ist, da niemand mit Gewissheit sagen kann, worauf es in einer Beziehung nun wirklich ankommt, wenn man glücklich sein und bleiben will.»   

Viele sehen die Beziehung als einen Ort, an dem der Urquell des Glücks verborgen liegt. Heer bezieht sich hier lieber auf Arthur Schopenhauer, um den Zusammenhang zwischen Glück und Beziehung auf den Punkt zu bringen: «Wer Glück in einer Beziehung erwartet, der spinnt.» Demnach wäre eine glückliche Ehe eine Art Oxymoron, ein ähnlich unhaltbares Paradoxon wie die Hassliebe. Man sieht, das Konzept des Beziehungsglücks steckt voller fixer Ideen und Dogmen, bei denen die Meinungen oft auseinander gehen. Viele dabei dabei vollkommen illusorischen Vorstellungen aus. Der Schweizer nennt uns im Folgenden die Klassiker, denen er bei seiner therapeutischen Arbeit immer wieder begegnet.

Die Suche nach der Richtigen oder dem Richtigen

Viele nach Liebe und Glück Suchende sind dem Gedanken verfallen, dass zuallererst der oder die Richtige gefunden werden muss. Erst wenn uns dieses Vorhaben gelungen ist, sind wir auf dem besten Weg, glücklich zu werden. Diese verklärte Vorstellung machen sich viele Online-Datingseiten zu Nutze und gewinnen dadurch in der modernen Gesellschaft immer mehr an Popularität. Heer selbst sieht das Matching-Konzept als einen ausgesprochen zweifelhaften Start in die Beziehung, da Leitstern und Fundament für eine glückliche Partnerschaft das Verliebtsein sein sollte. Unglücklich sind also diejenigen, die bisher nicht in den Genuss dieses erfüllenden Gefühls gekommen sind. Hat man sich gut verpaart, werden die Zeiten meist besser, so die Annahme. Die Beziehung wird zum Bollwerk gegen die Einsamkeit, zu einem Ort der Glückseligkeit, an dem man ewig verweilen möchte.

Unvergleichbarkeit

Hat man diese Hürde aber erst einmal geschafft und hat die große Liebe gefunden, sehen wir diesen besonderen Menschen gerne als einzigartig. Auch wenn es kaum möglich ist, diese Einzigartigkeit in passende Worte zu fassen, da sie, ähnlich wie die Schönheit, im Auge des Betrachters liegt. Doch allein dadurch, dass wir den oder die Geliebte als einzigartigen Menschen wahrnehmen wollen, so Heer, machen wir ihm oder ihr zu einem idealisierten Unikat. Und diesen Vorgang nennen wir dann «Liebe». Ganz besonders, wenn unser «geliebtes» Gegenüber gleichzeitig dasselbe tut.

Beziehungsmythen – Kommunikation, Sexualität und Müdigkeit

Tauchen Schwierigkeiten in der Partnerschaft auf, suchen die Betroffenen meist das gemeinsame Gespräch, in der Hoffnung, ihre Beziehungsprobleme auf diese Weise lösen zu können. Diese weitverbreitete fixe Idee zählt für Heer zu den größten Beziehungsmythen, da das Reden «über uns» seiner langjährigen Berufserfahrung nach gar nichts bringt, ja die Situation meist sogar verschlimmert, besonders wenn es in gegenseitige Schuldzuweisung ausartet. Schließlich suche man die Schuld kaum bei sich selbst, sondern gern und gewohnheitsmässig beim anderen. Ähnlich ist es mit dem Verstehen bzw. dem  Sich Unverstanden-Fühlen. Heer selbst glaubt nicht, dass es möglich sei, einander zu verstehen. So wird die Kommunikation zu einem Stolperstein in der Beziehung, der das gemeinsame Glück massiv gefährdet.

Der Paartherapeut rät, das Reden zu vereinfachen und sich mehr darauf zu konzentrieren, was der andere überhaupt sagen möchte. Das Zuhören ist die zentrale, die wichtigste und offensichtlich auch die am meisten vernachlässigte Beziehungsinvestition. Häufig kommt es sogar zum Streit, weil man das Gefühl hat, laut werden zu müssen, da das Gegenüber einen sonst einfach nicht verstehen würde. Geschrei, Tränen und im schlimmsten Fall physische Gewalt sind nicht selten die Antwort. Doch am glücklichsten sind nicht diejenigen, die durch Gespräche ihre Probleme lösen können, sondern Paare, die sich regelmäßig gegenseitig auf dem Laufenden halten, sich möglichst jeden Tag erzählen, was sie beide – je für sich – erlebt haben.

Ein weiteres wichtiges, aber auch mit vielen Vorurteilen belastetes Gebiet ist das der Sexualität. Wir müssen – so die Vorstellung, der feste Glaube – regelmäßigen und hochkarätigen Sexualkontakt mit dem oder der Geliebten haben, um in der Beziehung für gute Stimmung zu sorgen. Kann er oder sie nicht ausreichend befriedigt werden, scheint das Interesse an der Partnerschaft zu schwinden.

Die Erfahrung sagt uns aber, dass die Sexualität meist schon nach relativ kurzer Zeit zu verdorren beginnt, da die Investition in die intime Zweisamkeit mehr und mehr schrumpft. Nach und nach schwinden selbst einfache Berührungen, kleine Gesten, wie liebevolle Umarmungen, gehen unter in der Flut der Alltäglichkeiten.

Damit es erst gar nicht so weit kommt, empfiehlt Heer den Paaren, sich strikte darauf zu einigen, nur noch einvernehmlichen Sex miteinander zu haben – also nie mehr Sex ohne Lust. Das ist in den meisten Partnerschaften, vor allem für viele Frauen, alles andere als selbstverständlich. Auch das gemeinsame Neuentdecken der «fummelfreien» Berührung ist eine gute Möglichkeit, einander Liebe zu zeigen. Die täglichen Augenblicke, wo man sich verabschiedet, sich wiedersieht oder wo man zusammen schlafen geht – das sind Sternmomente in jeder Beziehung, die als solche nicht erkannt werden, so der Therapeut.

Schafft man es, «Negatives» umzudeuten, wie es in jedem Paarleben vorkommt, fällt einem das Zusammenleben oft leichter. Viele Paare, die bei Heer Hilfe suchen, beklagen sich über Langeweile, Stress und Müdigkeit. Dabei liegt das nächste Naherholungsgebiet direkt vor ihrer Nase – die Partnerschaft. Geniesst man die Müdigkeit gemeinsam, kann sie etwas laut Heer erholsam sein. «Die Wir-Müdigkeit ist eine Entdeckung wert.»

Exklusivität

Warum haben Treue und Exklusivität in einer Paarbeziehung so einen hohen Stellenwert? Meist glauben wir, sagt Heer, dass uns die Kirche das Gebot auferlegt hat, dem Partner oder der Partnerin treu sein zu müssen. Doch das ist nicht der Punkt. Vielmehr sollte der Fokus auf dem Gedanken liegen, dass man ja eine gemeinsame Geschichte hat. Damals, als die Liebe noch ganz frisch war, wäre etwas anderes als Treue schier undenkbar gewesen. Sobald aber andere Bedürfnisse aufkommen, liebäugeln viele mit dem Gedanken, dass diese Beziehung auf Dauer nicht glücklich machen kann.

Am Ende ist keine Beziehung für die Ewigkeit geschaffen. Ob nun die geliebte Person, man selbst oder die gemeinsame Beziehung zuerst zu Ende geht, es ändert nichts an der Tatsache, dass sie irgendwann stirbt wie jeder andere Organismus auf Erden, egal wie gut man sie gepflegt hat. Heer stößt in seinen Therapiesitzungen aber auch immer wieder auf Paare, die sich krampfhaft an ihrer serbelnden Beziehung festklammern, weil sie einfach nicht auseinander gehen können. Gründe sind beispielsweise die gemeinsamen Kinder, ein gemeinsamer Beruf, die Angst vor dem Alleinsein oder weil man dem anderen einfach nicht wehtun will und auch nicht kann. «Solche Beziehungen überleben gewissermassen ihren eigenen Tod», sagt Heer.

Leben diese Menschen in einer Art Abhängigkeit? Für den Paartherapeuten ist die Antwort ganz klar, ja. Wenn man liebt, macht man sich abhängig, beides gehört zusammen. Ist dieses Band erst einmal geknüpft, lässt es sich schwer durchschneiden...  

Glück in der Beziehung

Nun steht natürlich noch die letzte und wahrscheinlich auch wichtigste Frage im Raum: Kann man in einer Paarbeziehung glücklich werden? Heer sieht den Schlüssel zum Beziehungsglück in der Fähigkeit, den anderen in seiner Einzigartigkeit zu entdecken. Hat man erst einmal diesen Rohstoff, um die Beziehung zu formen, besitzt man eine Quelle, aus der man das Glück herausfiltern kann. Das braucht Zeit, muss aber nicht als verkrampfte Arbeit verstanden werden. Eher als entspanntes Annehmen, als grossherzige Gelassenheit. Schaffen wir es, den anderen um seiner selbst willen zu lieben – so wie er ist, gelingt es uns, neugierig zu bleiben auf ihn, dann haben wir Freude aneinander. Wir sind vielleicht sogar so etwas wie glücklich miteinander.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor