Dr. Klaus Heer

Lebensqualität 4/2014
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«Erwartung» ist ein präzises Synonym für «Problem»

Klaus Heer hat seit vierzig Jahren eine Praxis für Paartherapie in Bern. Gleich sein erstes Buch über Sex wurde zum Bestseller. Seine Fähigkeit, Beziehungsfragen unverschleiert zu diskutieren, hat ihn zu einem gefragten Experten gemacht.

INTERVIEW: DANIEL STRAUB
Daniel Straub: Was ist für dich persönlich Lebensqualität?
Ich führe ein ausschweifend luxuriöses Leben: Ich lebe unbeschwert in einer stillen Mietwohnung. Ich bewege mich leicht mit GA, Fahrrad und auf Luftkissenschuhen von Kybun. Und ich habe jede Menge Musse für meine Liebsten, am liebsten für mein viermonatiges Enkelkind Emil. Und für mich selbst.

Straub: Du bist ein erfahrener Paartherapeut. Führt diese Kompetenz dazu, dass deine eigenen Paarbeziehungen super funktionieren?
Gegenfrage: Leben Ärzte etwa gesünder oder länger als andere Leute? Nein. Ich verstehe meine «Experten-Tätigkeit» eben nicht als bezahlte Klugscheisserei. Sowohl die Beziehungen meiner Klientenpaare als auch meine eigene Partnerschaft sind mir eigentlich nach wie vor schwer zugängliches Gelände. Zwar bin ich ein geübter Landkartenleser, aber es fehlt unterwegs beileibe nicht an existenziellen Überraschungen. Niemand hat seine Beziehung im Griff, ich genauso wenig wie alle anderen. Dieses Abenteuer ist Lebensqualität.

Straub: Auf deiner Website www.klausheer.com habe ich ein Zitat von Elfriede Jelinek gefunden: «Liebe ist: nicht arbeiten müssen. Nur da sein. Wieso genügt das keinem?» Könntest du das erklären? Viele Paare lassen sich von der Vorstellung stressen, sie müssten dauernd an der Beziehung «arbeiten», miteinander «kommunizieren», unaufhörlich in die Zweisamkeit «investieren». Sonst gehe es bergab mit den beiden. Beziehungsfachleute verbreiten das seit einigen wenigen Jahrzehnten flächendeckend in Büchern und Frauenzeitschriften. Hyperaktivität zu zweit soll konstant dafür sorgen, dass man einander «spürt» und «in Kontakt» bleibt. Dahinter verbirgt sich die Angst vor der Langeweile. Man fürchtet Schweigen und Stille, Abstand und Eigenständigkeit, Müdigkeit und Leere. In der Jelinek‘schen Liebesqualität gehört aber das alles wesentlich zur Liebe und ist sogar bedeutsamer als der ganze beziehungsinterne Rummel um das Beziehungsglück.

Straub: Sind die Erwartungen an eine Paarbeziehung oft zu hoch?
Jede Beziehungserwartung ist zu hoch. Ohne mit der Wimper zu zucken, kann ich sagen: «Erwartung» ist ein präzises Synonym für «Problem». Sobald ich etwas vom anderen erwarte, habe ich augenblicklich ein Problem, bin Anwärter auf die nächste Enttäuschung. Liebe ist die Fähigkeit, das anzunehmen, was ist. Nicht aus schlapper Resignation, sondern in liebender Hingabe. Unter uns gesagt: Obwohl ich das seit mehr als 40 Jahren haargenau weiss, gelingt es mir noch immer nicht stets, meine Erwartungen an meine Partnerin im Zaum zu halten. Und das drückt dann auch prompt auf meine Lebensqualität – geschieht mir recht.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor