wandern.ch 05/2015
Gipfelgespräch
Gipfelgespräch
«Die Liebe will wandern»
Klaus Heer, der bekannte Paartherapeut, schlägt vor, sich bei den Mönchen im freiburgischen Valsainte zu treffen und von dort ins Tobel hinabzusteigen. Eine Wanderung voller Symbolkraft – mit einem erhellenden Gespräch über Gott und den Teufel, über Anfang und Ende, Leben und Liebe. Und dann gibt es sogar noch ein Rezept auf den Weg.
INTERVIEW: BALZ RIGENDINGER
INTERVIEW: BALZ RIGENDINGER
Klaus Heer, wo sind wir hier?
Wir stehen vor der einzigen Kartause der Schweiz, die noch in Betrieb ist, in Valsainte. Und wir stehen vor verschlossenen Türen, die 19 Kartäusermönche wollen ihre Ruhe. Früher gab es für Besucher an der Pforte noch einen Likör zu kaufen, aber ich sehe gerade, das ist auch vorbei.
Und warum stehen wir hier?
Der Ort zieht mich an. Ich wollte schliesslich mal Priester werden, vermutlich weil meine Eltern das unbedingt wollten. Das gab mir immerhin die Möglichkeit, das Gymnasium zu machen. In einer Klosterschule übrigens, bei den Kapuzinern in Stans.
Wie sind Sie aufgewachsen?
Ich war ein Bauernbub. Auf unserem Hof in Horw gab es mehr Kinder als Kühe. Zwölf Kinder.
Das klingt nach Armut.
Bitter war vor allem die geistige Armut: Es gab keine Bücher, nur die Bibel, die niemand las, und «Wie Globi Bauer wurde». Und als echten Lichtblick den Everseller «Chömed Chinde, mir wänd singe». Als Ältester war ich quasi der Gottgeweihte. Ich trat aber mit 18 aus der Kirche aus. Da stellte mein Vater die Zahlungen ein. Ich habe dann bei Eichhof Bierflaschen gewaschen und ging mit Heftli hausieren, um mein Gymnasium zu finanzieren. Ein Crashkurs in Eigenständigkeit war das. Mein Vater war streng und strikt. Leider verstand er es nicht, uns Kindern die Schönheit der Natur nahezubringen. So war das Wandern zum Beispiel nur anstrengend für uns, sonst nichts.
Nun aber wandern Sie oft.
Wir entdecken gerade die Bäche, meine Partnerin Marianne und ich. Wir wandern in kleinen Bachläufen rund um Bern und holen uns nasse Füsse. Es ist wie im Garten Eden. Dabei bin ich grundsätzlich faul. Drei Wanderstunden sind für mich die Obergrenze, ich bin ein erklärter Genusswanderer.
Wie kam das mit dem Wandern?
Mit Marianne. Ich wandere nie allein. Wir machen das ganz romantisch: im selben Rhythmus und meistens Hand in Hand. Ich geniesse unsere schweissnassen Hände. Ich liebe das. Ich bin übrigens monogam, seit ich mit Marianne zusammen bin.
Sie plädieren auch als Paartherapeut für die Treue in der Partnerschaft. Ein katholischer Gedanke.
Im Unterschied zur Kirche bin ich aber nicht aus moralischen Gründen für die Treue, sondern aus pragmatischen. Ich habe erlebt, was Untreue anrichtet. Das grosse Dilemma des Menschen aber ist auch meines: Wie kann ich dem geliebten Menschen treu sein und gleichzeitig mir selbst?
Worüber reden Sie, wenn Sie mit Ihrer Partnerin wandern?
Wir erzählen uns Banales aus dem Alltag, reden über die Pflanzen und Blumen, denen wir begegnen. Manchmal auch über ihr Altwerden und mein Altsein und darüber, wie das zusammenpasst. Oft schweigen wir, in den Bächen sowieso. Man muss da schliesslich auf den Beinen bleiben, wie im richtigen Leben.
Wann gerät ein Paar in Schieflage?
Wenn Reibung und Differenz fehlen. Einer Idylle ist fast immer zu misstrauen. In meiner Arbeit höre ich manchmal nach der dritten, vierten Sitzung die Erfolgsmeldungen von der Front, jetzt sei alles gut. Aber dann kommt der Themennotstand – wenig später die Verwerfung. Mein Fazit: Seid immer unruhig und unterwegs!
Wir stehen vor der einzigen Kartause der Schweiz, die noch in Betrieb ist, in Valsainte. Und wir stehen vor verschlossenen Türen, die 19 Kartäusermönche wollen ihre Ruhe. Früher gab es für Besucher an der Pforte noch einen Likör zu kaufen, aber ich sehe gerade, das ist auch vorbei.
Und warum stehen wir hier?
Der Ort zieht mich an. Ich wollte schliesslich mal Priester werden, vermutlich weil meine Eltern das unbedingt wollten. Das gab mir immerhin die Möglichkeit, das Gymnasium zu machen. In einer Klosterschule übrigens, bei den Kapuzinern in Stans.
Wie sind Sie aufgewachsen?
Ich war ein Bauernbub. Auf unserem Hof in Horw gab es mehr Kinder als Kühe. Zwölf Kinder.
Das klingt nach Armut.
Bitter war vor allem die geistige Armut: Es gab keine Bücher, nur die Bibel, die niemand las, und «Wie Globi Bauer wurde». Und als echten Lichtblick den Everseller «Chömed Chinde, mir wänd singe». Als Ältester war ich quasi der Gottgeweihte. Ich trat aber mit 18 aus der Kirche aus. Da stellte mein Vater die Zahlungen ein. Ich habe dann bei Eichhof Bierflaschen gewaschen und ging mit Heftli hausieren, um mein Gymnasium zu finanzieren. Ein Crashkurs in Eigenständigkeit war das. Mein Vater war streng und strikt. Leider verstand er es nicht, uns Kindern die Schönheit der Natur nahezubringen. So war das Wandern zum Beispiel nur anstrengend für uns, sonst nichts.
Nun aber wandern Sie oft.
Wir entdecken gerade die Bäche, meine Partnerin Marianne und ich. Wir wandern in kleinen Bachläufen rund um Bern und holen uns nasse Füsse. Es ist wie im Garten Eden. Dabei bin ich grundsätzlich faul. Drei Wanderstunden sind für mich die Obergrenze, ich bin ein erklärter Genusswanderer.
Wie kam das mit dem Wandern?
Mit Marianne. Ich wandere nie allein. Wir machen das ganz romantisch: im selben Rhythmus und meistens Hand in Hand. Ich geniesse unsere schweissnassen Hände. Ich liebe das. Ich bin übrigens monogam, seit ich mit Marianne zusammen bin.
Sie plädieren auch als Paartherapeut für die Treue in der Partnerschaft. Ein katholischer Gedanke.
Im Unterschied zur Kirche bin ich aber nicht aus moralischen Gründen für die Treue, sondern aus pragmatischen. Ich habe erlebt, was Untreue anrichtet. Das grosse Dilemma des Menschen aber ist auch meines: Wie kann ich dem geliebten Menschen treu sein und gleichzeitig mir selbst?
Worüber reden Sie, wenn Sie mit Ihrer Partnerin wandern?
Wir erzählen uns Banales aus dem Alltag, reden über die Pflanzen und Blumen, denen wir begegnen. Manchmal auch über ihr Altwerden und mein Altsein und darüber, wie das zusammenpasst. Oft schweigen wir, in den Bächen sowieso. Man muss da schliesslich auf den Beinen bleiben, wie im richtigen Leben.
Wann gerät ein Paar in Schieflage?
Wenn Reibung und Differenz fehlen. Einer Idylle ist fast immer zu misstrauen. In meiner Arbeit höre ich manchmal nach der dritten, vierten Sitzung die Erfolgsmeldungen von der Front, jetzt sei alles gut. Aber dann kommt der Themennotstand – wenig später die Verwerfung. Mein Fazit: Seid immer unruhig und unterwegs!
Sie haben schon vielen Paaren wieder auf die Beine geholfen. Wie machen Sie das?
Helfen und retten ist nicht mein Job. In unseren Beratungsgesprächen bin ich zwar der Bergführer, aber ich gehe nicht voraus, ich folge auf dem Fusse hinterher. Ich weiss nicht, wo es langgeht. Ich kommentiere, decke Offensichtliches auf. Viele Probleme entstehen, weil man das Offensichtliche übersieht. Und unerwartete Fragen bewegen mehr als besserwisserische Antworten.
Ist schon halb geholfen, wenn man nur darüber redet?
Halb, ja. Manchmal ist Fliehen besser. Viele haben eine schlechte Meinung von der Flucht. Aber die Flucht ist oft die Chance, eine Situation zu entschärfen.
Sie reden gerne über Sex. Stimmt der Eindruck? Ja, öffentlich drüber reden fällt mir leichter als daheim zwischen den Laken. Es gibt ja beim Wandern das Gelände und die Karte, also die Realität und die andere Ebene, auf der man diese betrachtet und bespricht. Ich ermuntere gerne zum Kartenstudium, doch das Gelände ist das pralle Leben. Die Karte ist nur der Behelf.
Wir haben Sie um ein Gipfelgespräch gebeten, und sie führten uns ins tiefe Tal. Unsere Wanderung führt von der Kartause hinunter einem Bach entlang über grobes Geschiebe durchs Tobel.
Unsere Lebenswanderschaften sind gesäumt von Trümmern und grossen Brocken, fällt mir auf. Enttäuschungen, Schläge, Wunden, Narben. Biografien haben einen Hang zum Desaster.
Helfen und retten ist nicht mein Job. In unseren Beratungsgesprächen bin ich zwar der Bergführer, aber ich gehe nicht voraus, ich folge auf dem Fusse hinterher. Ich weiss nicht, wo es langgeht. Ich kommentiere, decke Offensichtliches auf. Viele Probleme entstehen, weil man das Offensichtliche übersieht. Und unerwartete Fragen bewegen mehr als besserwisserische Antworten.
Ist schon halb geholfen, wenn man nur darüber redet?
Halb, ja. Manchmal ist Fliehen besser. Viele haben eine schlechte Meinung von der Flucht. Aber die Flucht ist oft die Chance, eine Situation zu entschärfen.
Sie reden gerne über Sex. Stimmt der Eindruck? Ja, öffentlich drüber reden fällt mir leichter als daheim zwischen den Laken. Es gibt ja beim Wandern das Gelände und die Karte, also die Realität und die andere Ebene, auf der man diese betrachtet und bespricht. Ich ermuntere gerne zum Kartenstudium, doch das Gelände ist das pralle Leben. Die Karte ist nur der Behelf.
Wir haben Sie um ein Gipfelgespräch gebeten, und sie führten uns ins tiefe Tal. Unsere Wanderung führt von der Kartause hinunter einem Bach entlang über grobes Geschiebe durchs Tobel.
Unsere Lebenswanderschaften sind gesäumt von Trümmern und grossen Brocken, fällt mir auf. Enttäuschungen, Schläge, Wunden, Narben. Biografien haben einen Hang zum Desaster.
«Wer das Glück in einer Beziehung erwartet, spinnt.»
Arthur Schopenhauer
Arthur Schopenhauer
Das klingt bitter.
Melancholisch eher. Meine Melancholie erleichtert mir den Abschied vom Diesseits. Sehen Sie, ich bin 72. Ich muss vieles zurücklassen, gehen lassen. Alles schliesslich. Die Wanderung des Lebens führt am Schluss
in den Tod. Und vorher gilt Philip Roth: «Das Alter ist ein Massaker.»
Wenn man so viel über Liebesmüh und ‑glück gesinnt hat: Gibt es ein Rezept?
Ein Rezept nicht, nein. Arthur Schopenhauer sagt es gnadenlos: «Wer das Glück in einer Beziehung erwartet, spinnt.» Recht hat er, der alte Brummbär.
Aber Liebe macht doch glücklich, nicht?
Vielleicht. Wenn man es nicht erwartet. Sobald man etwas erwartet – vom Leben, vom Liebespartner –, sitzt man schon mitten in Teufels Küche. Erwartung ist ein Synonym für Problem. Besser man lässt sich überraschen und verzücken, so wie der Wanderer von der Landschaft. Ab und zu setzt man sich dann auf ein Bänkli und schaut zu zweit in die Wanderkarte. Damit man ungefähr weiss, wo man ist. Und wohin man möchte. Aus so einer spielerischen Wanderschaft wächst eine richtige Liebesgeschichte.
Also Glück?
Glück ist ein grosses Wort dafür. Gelassene Zufriedenheit könnte besser passen. Gelassen und zufrieden unterwegs. Immer etwas unruhig.
Melancholisch eher. Meine Melancholie erleichtert mir den Abschied vom Diesseits. Sehen Sie, ich bin 72. Ich muss vieles zurücklassen, gehen lassen. Alles schliesslich. Die Wanderung des Lebens führt am Schluss
in den Tod. Und vorher gilt Philip Roth: «Das Alter ist ein Massaker.»
Wenn man so viel über Liebesmüh und ‑glück gesinnt hat: Gibt es ein Rezept?
Ein Rezept nicht, nein. Arthur Schopenhauer sagt es gnadenlos: «Wer das Glück in einer Beziehung erwartet, spinnt.» Recht hat er, der alte Brummbär.
Aber Liebe macht doch glücklich, nicht?
Vielleicht. Wenn man es nicht erwartet. Sobald man etwas erwartet – vom Leben, vom Liebespartner –, sitzt man schon mitten in Teufels Küche. Erwartung ist ein Synonym für Problem. Besser man lässt sich überraschen und verzücken, so wie der Wanderer von der Landschaft. Ab und zu setzt man sich dann auf ein Bänkli und schaut zu zweit in die Wanderkarte. Damit man ungefähr weiss, wo man ist. Und wohin man möchte. Aus so einer spielerischen Wanderschaft wächst eine richtige Liebesgeschichte.
Also Glück?
Glück ist ein grosses Wort dafür. Gelassene Zufriedenheit könnte besser passen. Gelassen und zufrieden unterwegs. Immer etwas unruhig.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor