Die Weltwoche vom 9. September 2015
Sag mir, wo die Frauen sind
Jahrelang behaupteten Beziehungsexperten, Frauen seien ähnlich untreu und triebgesteuert
wie Männer. Umfragen bestätigten den Befund. Die gehackten Benutzerdaten des Fremdgehportals
Ashley Madison entlarven dies nun als grossen Schwindel.
VON BEATRICE SCHLAG
VON BEATRICE SCHLAG
Vermutlich lachten die meisten Frauen etwas dreckig, als die Nachricht kam: Ashley Madison, das Seitensprungportal mit dem Slogan «Das Leben ist kurz. Gönn dir eine Affäre» wurde gehackt. Mehr als dreissig Millionen Männer weltweit, die für Kontakte zu untreuewilligen Ehefrauen bezahlt hatten, sind seither mit Namen, sexuellen Vorlieben und teilweise mit Kreditkartennummer für jeden einsehbar im Internet aufgelistet. Noch viel ausgelassener wurde das weibliche Gelächter, als bekanntwurde, dass nur ein winziger Prozentsatz der weiblichen Ashley-Madison-Benutzer reale Frauen waren. Und selbst unter den wenigen waren kaum abwechslungshungrige Ehefrauen, sondern mehrheitlich Prostituierte. Die restlichen Frauen im Angebot waren frei am Schreibtisch erfunden worden und wurden mit irgendwelchen Bildern dargestellt.
Die Millionen Männer, die bei dem Portal nach willigen Sexpartnerinnen fahndeten, wurden vorwiegend mit E-Mails von Bots gefüttert und am Zahlen gehalten. «Bots» – von englisch «robots» – sind Computerprogramme, die automatisch sich wiederholende Aufgaben erledigen. Laut der Gizmodo-Bloggerin Annalee Newitz erstellte das Portal über 70 000 verschiedene weibliche Bot-Profile, gegenüber einem paar Dutzend männlichen. Von den männlichen Benutzern von Ashley Madison hat demnach der überwiegende Teil mit einem Computer über heissen Sex und mögliche Treffen gechattet und dafür bezahlt. Von wegen Abermillionen heimlicher Seitensprünge!
Trotzdem: Man darf sich nicht ernsthaft ausmalen, welchen emotionalen Flurschaden das Hacking des Fremdgehportals in Zehntausenden von Familien angerichtet hat. An der Vorstellung, dass seit Wochen weltweit Ehefrauen vom Computer oder von Bekannten erfahren, dass auch ihr Ehemann auf der Liste der Affärensucher stehen, ist gar nichts erheiternd. Aber es war auch nie erheiternd, zu denken, dass Fremdgehportale Millionen damit verdienen, liierte Menschen zum heimlichen und unverbindlichen Sexabenteuer anzuspornen, von dem der Partner nie erfahren sollte.
«Den Mut haben, als Single zu leben»
Fast jede Frau kennt in ihrem weiblichen Umfeld zahlreiche weibliche Singles, die über Parship und andere Dating-Portale einen künftigen Partner kennenzulernen hoffen, für Sex, Liebe oder meistens für beides. Aber von keiner hörte man je, dass sie auch auf Ashley Madison Ausschau halte. War die Fantasie, dass sich Ehemänner dort lediglich heimliche Seitensprünge erhofften, bei denen sich ausser Sex gar nichts ergeben durfte, zu wenig einladend? «Nichts gegen Männer, die sagen: ‹Es gibt zu viele attraktive Frauen da draussen, als dass ich mich für eine entscheiden könnte›», sagte eine Freundin. «Aber dann sollen sie den Mut haben, als Singles zu leben. Nein, Familie wollen sie dann doch auch, ist ja an Weihnachten auch viel gemütlicher. Aber wenn es im Ehebett sexuell nicht mehr kribbelt, loggt man sich beim Seitensprungportal ein. Diese rückgratlose Doppelmoral ist etwas eklig. Das kann doch Frauen gar nicht anmachen.»
Kann es wirklich nicht? Seit Jahren steigen bei jeder Befragung die Prozentzahlen der Ehefrauen, die von sich sagen, sie seien schon fremdgegangen. Die Zahlen variieren je nach Befragung erheblich, zwischen zehn und fast dreissig Prozent. Sie sind mit grosser Vorsicht zu geniessen. Bekanntlich korrigieren bei keinen Umfragen Frauen und Männer die Wahrheit so bereitwillig, wie wenn es um Seitensprünge geht. Männer bezeichnen sich nicht ungern als untreu, solange sie anonym bleiben können. Frauen verschweigen tendenziell eher. Dennoch nähern sich die Umfrageergebnisse über Fremdgehen bei Mann und Frau seit Jahren immer mehr an.
Das grösste vorstellbare Jagdgebiet
Was wenig verlässliche Statistiken vermuten lassen, behaupten auch Psychologen und Paarberater in westlichen Ländern einhellig: In immer mehr Fällen, wo ein krisengeschütteltes Ehepaar Beratung sucht, ist der Auslöser nicht ein Seitensprung des Mannes, sondern einer der Frau. Wissenschaftler, die versuchen, die weibliche Lust zu ergründen, liefern für die Beobachtungen der Therapeuten immer plausiblere Gründe. «Frauen gelten als die geradezu natürlichen Verbündeten, die Hüterinnen, ja Verfechterinnen der monogamen Beziehung», schrieb US-Autor Daniel Bergner in seinem Bestseller «What Do Women Want?», «weil ihr Geschlecht angeblich rein biologisch zur Treue neigt. An dieses Märchen klammern wir uns.» Dabei zeigten wissenschaftliche Untersuchungen inzwischen eindeutig, dass «die Lust der Frauen meistens nicht von emotionaler Nähe und Geborgenheit abhängig ist».
Ein immer brüchiger werdendes Verhältnis zur Monogamie, eine zunehmende Unbekümmertheit in Sachen Untreue, egal, ob mit einem verheirateten oder ledigen Mann – wenn das tatsächlich die neue Realität vieler Frauen wäre, müsste ihre Nachfrage nach Ashley Madison beachtlich gewesen sein. Warum also hatte das Portal fast nur männliche Kundschaft, obwohl Frauen im Gegensatz zu Männern kostenlos mit Kontakten beliefert wurden? «Ashley Madison stellte das grösste vorstellbare Jagdrevier zur Verfügung», sagt der Berner Paartherapeut und Autor Klaus Heer. «Das ist schon das halbe Vergnügen für den Mann. Der Jäger liebt den ungewissen Ausgang der Jagd; das Abenteuer ist ein bedeutender Teil seiner Sehnsüchte.»
Was nicht bedeute, dass der nackte Fleischsex der Inbegriff von hochkarätigen sexuellen Erlebnissen ist – auch für den Mann nicht: «Am liebsten würde er diese jägerischen Sehnsüchte in den eigenen vier Wänden mit der eigenen Frau befriedigen. Aber das geht nicht. Abenteuer und Vertrautheit schliessen sich brutal aus. Das nimmt er seiner Frau übel, dass er genital unbefriedigt bleiben muss. Und in der Sexnot frisst der Mann, was er bekommen kann: Porno, Prostituierte, Ashley Madison, eine Affäre.»
Prächtige Idee, grauenhafter Krampf
Ganz anders die erotisch-sexuellen Ansprüche von Frauen. «Die Frau verübelt ihrem Mann, dass sie in der Zweisamkeit nicht das Klima vorfindet, nach dem sie sich sehnt, um sexuell aufzublühen. Frauen verzichten schweren Herzens ganz auf genitalen Sex mit einem Mann, wenn er für sie enttäuschend ist. Oder wenn er ihnen wie eine Faust aufs Auge des Beziehungsalltags vorkommt. Männer nehmen, was sie bekommen können. Offensichtlich ist dieses Vorgehen nicht nach dem Geschmack von Frauen. Wenn sie auf dem Trockenen sitzen und in Not kommen, ziehen sie sich eher zurück. Und werden unglücklich.»
Oder sie suchen sich einen Geliebten. Nicht einen Körper für Sex, sondern jemanden, der auch danach Freude an ihnen zeigt. Und macht, dass sie sich wieder lebendig fühlen und begehrt. Manchmal, das wird ihnen erst hinterher bewusst, soll der Geliebte auch nur helfen, das Durcheinander in ihrem Kopf zu klären, ob sie in ihrer Ehe bleiben oder die Trennung wagen sollen. Und manchmal passiert es einfach so, ungeplant und unbedacht, weil es reizvoll ist. «In letzter Zeit», sagt Heer, «tut sich die Ambivalenzschere in Bezug auf Liebe, Sex und Treue immer weiter auf. Die Liebe in ihrer romantischen Überhöhung besetzt mehr und mehr das ganze Denken. Gleichzeitig liebäugelt man im Lauf seiner Paargeschichte zunehmend unverhohlen mit unverbindlicheren Beziehungsformen. In allen Medien ist davon die Rede. Der Ton ist verführerisch, verharmlosend und naiv. Nicht nur Männer lassen sich davon anmachen.» – «Gönn dir eine Affäre.»
Warum nicht gleich eine offene Beziehung, in der man seine sexuellen Fremdabenteuer ohne schlechtes Gewissen geniessen kann, weil sie die Ehe nicht gefährden? «Soziale Treue» nannte man das Modell, das im Sog der 68er Bewegung eine Weile propagiert wurde. Man blieb beieinander, war solidarisch, log nicht über Nebenbeziehungen und brachte die Kinder wie abgemacht morgens in den Kindergarten, auch wenn man grad erst aus dem Bett eines oder einer Geliebten gekrochen war. Für die, die es erlebt haben: Es war theoretisch eine prächtige Idee und praktisch ein grauenhafter Krampf, mit dem kaum einer umgehen konnte. Denn die schöne Theorie hatte unterschlagen, dass der Sexualtrieb von Paaren unterschiedlich ist. Ebenso ihr Erfolg beim anderen Geschlecht. Einer kam immer schlechter weg und litt fürchterlich. «Die Paare», sagt Heer, «muten einander so viel Offenheit zu, dass sie bald einmal den Durchzug nicht mehr aushalten.» Nicht zufälligerweise war das Modell nach ein paar Jahren in der Versenkung verschwunden. Es ist eine krasse Überforderung unserer emotionalen Fähigkeiten, weitaus heftiger als die Monogamie, an der doch bereits eine Mehrheit zu scheitern scheint.
Aber noch zeichnet sich nirgends eine lebbarere Form von Ehe- und Familienleben ab als die Monogamie. Und folglich nichts, woran wir uns heftiger klammern, obwohl eine Scheidungsrate von über vierzig Prozent ein katastrophaler Ausweis für ein gesellschaftliches Grundmodell ist. Solange Ehefrauen und Mütter finanziell abhängig waren, begegnete die Gesellschaft den Seitensprüngen ihrer triebgesteuerten Männer mit einer gewissen Nachsicht. Und die Ehefrauen hielten den Mund, weil sie keine andere Wahl hatten.
Der Flächenbrand ist häufig
Mit Berufstätigkeit und steigendem Selbstbewusstsein wuchs die Überzeugung der Frauen, dass sie mindestens so viel Lust und Recht auf ein frohes Sexualleben haben wie Männer, zu Hause und in fremden Betten. Das müsste der Monogamie theoretisch den Todesstoss versetzen. Denn jeder, der es erlebt hat, weiss, dass nichts zerstörerischer ist für eine Ehe als ein Seitensprung, der auffliegt. Und früher oder später fliegen fast alle auf. «Eine Affäre ist wie ein Spiel mit dem Feuer», schreibt der deutsche Paar- und Sexualtherapeut Ulrich Clement. «Ob die Flamme gleich erlischt, ob sie belebende Wärme ausstrahlt oder sich zum zerstörenden Flächenbrand ausweitet, weiss man am Anfang nicht, wenn man zündelt.» Der Flächenbrand ist häufig: Untreue ist der meistgenannte Scheidungsgrund in praktisch allen westlichen Ländern. Wenn es ansatzweise zutrifft, dass zu den in vielen Statistiken auf rund vierzig Prozent geschätzten männlichen Fremdgehern inzwischen rund zwanzig Prozent untreue Ehefrauen kommen, würde das ein konstantes Flammenmeer bedeuten. Etwas an dem Ausmass kann nicht stimmen. Wie die Frauenprofile bei Ashley Madison.
Die Millionen Männer, die bei dem Portal nach willigen Sexpartnerinnen fahndeten, wurden vorwiegend mit E-Mails von Bots gefüttert und am Zahlen gehalten. «Bots» – von englisch «robots» – sind Computerprogramme, die automatisch sich wiederholende Aufgaben erledigen. Laut der Gizmodo-Bloggerin Annalee Newitz erstellte das Portal über 70 000 verschiedene weibliche Bot-Profile, gegenüber einem paar Dutzend männlichen. Von den männlichen Benutzern von Ashley Madison hat demnach der überwiegende Teil mit einem Computer über heissen Sex und mögliche Treffen gechattet und dafür bezahlt. Von wegen Abermillionen heimlicher Seitensprünge!
Trotzdem: Man darf sich nicht ernsthaft ausmalen, welchen emotionalen Flurschaden das Hacking des Fremdgehportals in Zehntausenden von Familien angerichtet hat. An der Vorstellung, dass seit Wochen weltweit Ehefrauen vom Computer oder von Bekannten erfahren, dass auch ihr Ehemann auf der Liste der Affärensucher stehen, ist gar nichts erheiternd. Aber es war auch nie erheiternd, zu denken, dass Fremdgehportale Millionen damit verdienen, liierte Menschen zum heimlichen und unverbindlichen Sexabenteuer anzuspornen, von dem der Partner nie erfahren sollte.
«Den Mut haben, als Single zu leben»
Fast jede Frau kennt in ihrem weiblichen Umfeld zahlreiche weibliche Singles, die über Parship und andere Dating-Portale einen künftigen Partner kennenzulernen hoffen, für Sex, Liebe oder meistens für beides. Aber von keiner hörte man je, dass sie auch auf Ashley Madison Ausschau halte. War die Fantasie, dass sich Ehemänner dort lediglich heimliche Seitensprünge erhofften, bei denen sich ausser Sex gar nichts ergeben durfte, zu wenig einladend? «Nichts gegen Männer, die sagen: ‹Es gibt zu viele attraktive Frauen da draussen, als dass ich mich für eine entscheiden könnte›», sagte eine Freundin. «Aber dann sollen sie den Mut haben, als Singles zu leben. Nein, Familie wollen sie dann doch auch, ist ja an Weihnachten auch viel gemütlicher. Aber wenn es im Ehebett sexuell nicht mehr kribbelt, loggt man sich beim Seitensprungportal ein. Diese rückgratlose Doppelmoral ist etwas eklig. Das kann doch Frauen gar nicht anmachen.»
Kann es wirklich nicht? Seit Jahren steigen bei jeder Befragung die Prozentzahlen der Ehefrauen, die von sich sagen, sie seien schon fremdgegangen. Die Zahlen variieren je nach Befragung erheblich, zwischen zehn und fast dreissig Prozent. Sie sind mit grosser Vorsicht zu geniessen. Bekanntlich korrigieren bei keinen Umfragen Frauen und Männer die Wahrheit so bereitwillig, wie wenn es um Seitensprünge geht. Männer bezeichnen sich nicht ungern als untreu, solange sie anonym bleiben können. Frauen verschweigen tendenziell eher. Dennoch nähern sich die Umfrageergebnisse über Fremdgehen bei Mann und Frau seit Jahren immer mehr an.
Das grösste vorstellbare Jagdgebiet
Was wenig verlässliche Statistiken vermuten lassen, behaupten auch Psychologen und Paarberater in westlichen Ländern einhellig: In immer mehr Fällen, wo ein krisengeschütteltes Ehepaar Beratung sucht, ist der Auslöser nicht ein Seitensprung des Mannes, sondern einer der Frau. Wissenschaftler, die versuchen, die weibliche Lust zu ergründen, liefern für die Beobachtungen der Therapeuten immer plausiblere Gründe. «Frauen gelten als die geradezu natürlichen Verbündeten, die Hüterinnen, ja Verfechterinnen der monogamen Beziehung», schrieb US-Autor Daniel Bergner in seinem Bestseller «What Do Women Want?», «weil ihr Geschlecht angeblich rein biologisch zur Treue neigt. An dieses Märchen klammern wir uns.» Dabei zeigten wissenschaftliche Untersuchungen inzwischen eindeutig, dass «die Lust der Frauen meistens nicht von emotionaler Nähe und Geborgenheit abhängig ist».
Ein immer brüchiger werdendes Verhältnis zur Monogamie, eine zunehmende Unbekümmertheit in Sachen Untreue, egal, ob mit einem verheirateten oder ledigen Mann – wenn das tatsächlich die neue Realität vieler Frauen wäre, müsste ihre Nachfrage nach Ashley Madison beachtlich gewesen sein. Warum also hatte das Portal fast nur männliche Kundschaft, obwohl Frauen im Gegensatz zu Männern kostenlos mit Kontakten beliefert wurden? «Ashley Madison stellte das grösste vorstellbare Jagdrevier zur Verfügung», sagt der Berner Paartherapeut und Autor Klaus Heer. «Das ist schon das halbe Vergnügen für den Mann. Der Jäger liebt den ungewissen Ausgang der Jagd; das Abenteuer ist ein bedeutender Teil seiner Sehnsüchte.»
Was nicht bedeute, dass der nackte Fleischsex der Inbegriff von hochkarätigen sexuellen Erlebnissen ist – auch für den Mann nicht: «Am liebsten würde er diese jägerischen Sehnsüchte in den eigenen vier Wänden mit der eigenen Frau befriedigen. Aber das geht nicht. Abenteuer und Vertrautheit schliessen sich brutal aus. Das nimmt er seiner Frau übel, dass er genital unbefriedigt bleiben muss. Und in der Sexnot frisst der Mann, was er bekommen kann: Porno, Prostituierte, Ashley Madison, eine Affäre.»
Prächtige Idee, grauenhafter Krampf
Ganz anders die erotisch-sexuellen Ansprüche von Frauen. «Die Frau verübelt ihrem Mann, dass sie in der Zweisamkeit nicht das Klima vorfindet, nach dem sie sich sehnt, um sexuell aufzublühen. Frauen verzichten schweren Herzens ganz auf genitalen Sex mit einem Mann, wenn er für sie enttäuschend ist. Oder wenn er ihnen wie eine Faust aufs Auge des Beziehungsalltags vorkommt. Männer nehmen, was sie bekommen können. Offensichtlich ist dieses Vorgehen nicht nach dem Geschmack von Frauen. Wenn sie auf dem Trockenen sitzen und in Not kommen, ziehen sie sich eher zurück. Und werden unglücklich.»
Oder sie suchen sich einen Geliebten. Nicht einen Körper für Sex, sondern jemanden, der auch danach Freude an ihnen zeigt. Und macht, dass sie sich wieder lebendig fühlen und begehrt. Manchmal, das wird ihnen erst hinterher bewusst, soll der Geliebte auch nur helfen, das Durcheinander in ihrem Kopf zu klären, ob sie in ihrer Ehe bleiben oder die Trennung wagen sollen. Und manchmal passiert es einfach so, ungeplant und unbedacht, weil es reizvoll ist. «In letzter Zeit», sagt Heer, «tut sich die Ambivalenzschere in Bezug auf Liebe, Sex und Treue immer weiter auf. Die Liebe in ihrer romantischen Überhöhung besetzt mehr und mehr das ganze Denken. Gleichzeitig liebäugelt man im Lauf seiner Paargeschichte zunehmend unverhohlen mit unverbindlicheren Beziehungsformen. In allen Medien ist davon die Rede. Der Ton ist verführerisch, verharmlosend und naiv. Nicht nur Männer lassen sich davon anmachen.» – «Gönn dir eine Affäre.»
Warum nicht gleich eine offene Beziehung, in der man seine sexuellen Fremdabenteuer ohne schlechtes Gewissen geniessen kann, weil sie die Ehe nicht gefährden? «Soziale Treue» nannte man das Modell, das im Sog der 68er Bewegung eine Weile propagiert wurde. Man blieb beieinander, war solidarisch, log nicht über Nebenbeziehungen und brachte die Kinder wie abgemacht morgens in den Kindergarten, auch wenn man grad erst aus dem Bett eines oder einer Geliebten gekrochen war. Für die, die es erlebt haben: Es war theoretisch eine prächtige Idee und praktisch ein grauenhafter Krampf, mit dem kaum einer umgehen konnte. Denn die schöne Theorie hatte unterschlagen, dass der Sexualtrieb von Paaren unterschiedlich ist. Ebenso ihr Erfolg beim anderen Geschlecht. Einer kam immer schlechter weg und litt fürchterlich. «Die Paare», sagt Heer, «muten einander so viel Offenheit zu, dass sie bald einmal den Durchzug nicht mehr aushalten.» Nicht zufälligerweise war das Modell nach ein paar Jahren in der Versenkung verschwunden. Es ist eine krasse Überforderung unserer emotionalen Fähigkeiten, weitaus heftiger als die Monogamie, an der doch bereits eine Mehrheit zu scheitern scheint.
Aber noch zeichnet sich nirgends eine lebbarere Form von Ehe- und Familienleben ab als die Monogamie. Und folglich nichts, woran wir uns heftiger klammern, obwohl eine Scheidungsrate von über vierzig Prozent ein katastrophaler Ausweis für ein gesellschaftliches Grundmodell ist. Solange Ehefrauen und Mütter finanziell abhängig waren, begegnete die Gesellschaft den Seitensprüngen ihrer triebgesteuerten Männer mit einer gewissen Nachsicht. Und die Ehefrauen hielten den Mund, weil sie keine andere Wahl hatten.
Der Flächenbrand ist häufig
Mit Berufstätigkeit und steigendem Selbstbewusstsein wuchs die Überzeugung der Frauen, dass sie mindestens so viel Lust und Recht auf ein frohes Sexualleben haben wie Männer, zu Hause und in fremden Betten. Das müsste der Monogamie theoretisch den Todesstoss versetzen. Denn jeder, der es erlebt hat, weiss, dass nichts zerstörerischer ist für eine Ehe als ein Seitensprung, der auffliegt. Und früher oder später fliegen fast alle auf. «Eine Affäre ist wie ein Spiel mit dem Feuer», schreibt der deutsche Paar- und Sexualtherapeut Ulrich Clement. «Ob die Flamme gleich erlischt, ob sie belebende Wärme ausstrahlt oder sich zum zerstörenden Flächenbrand ausweitet, weiss man am Anfang nicht, wenn man zündelt.» Der Flächenbrand ist häufig: Untreue ist der meistgenannte Scheidungsgrund in praktisch allen westlichen Ländern. Wenn es ansatzweise zutrifft, dass zu den in vielen Statistiken auf rund vierzig Prozent geschätzten männlichen Fremdgehern inzwischen rund zwanzig Prozent untreue Ehefrauen kommen, würde das ein konstantes Flammenmeer bedeuten. Etwas an dem Ausmass kann nicht stimmen. Wie die Frauenprofile bei Ashley Madison.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor