Dr. Klaus Heer

Bluewin-Magazin 3. November 2015
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Klaus Heer: «Frieden ist ein anderes Wort für Kompromiss»

Es kann nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen herrschen in einer Beziehung, wird behauptet. Paartherapeut Klaus Heer sieht das anders. Er sagt: «Krach gibt es nur, wenn sich die Eheleute gegenseitig nicht richtig zuhören.» Wer ist friedensbereiter in einer Beziehung: die Frau oder der Mann? Und was ist nötig, dass sich ein Paar nach dem Besuch einer Ehe-Therapie weniger zankt? Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen hat Bluewin mit dem bekannten Berner Paartherapeut Klaus Heer gesprochen.

INTERVIEW: BRUNO BÖTSCHI
Bluewin: Herr Heer, Sie arbeiten seit über 40 Jahren als Paartherapeut. Stumpft man mit der Zeit ab?
Klaus Heer: Ich nicht. Ich hatte nie den geringsten Zweifel an meiner Berufswahl vor 40 Jahren. Ich werde es so machen wie mein Lehrer Hans Willi. Er war Organist. Bis er eines Tages tot von der Orgelbank glitt und mit seinem ganzen Übergewicht die halbe Klaviatur erbrausen liess, die mit den Füssen gespielt wird.

Was treibt Sie bei Ihrer Arbeit an?
Ich bin genau am richtigen Ort. Paare und ihre Anliegen beleben seit eh und je meinen Gwunder. Jeden Tag neu. Neugier ist ein Synonym für pralles Leben, und kein Paar gleicht dem anderen.
«Zwist hat die fatale Neigung, sich zu wiederholen. Ausser man findet heraus, wie man den Krieg am besten beendet.»
Und auch kein Streit dem anderen?
Jeder Streit ist eine Einzelanfertigung, entsteht auf einmalige Weise, verläuft typisch für das Paar und findet sein unverwechselbares Ende. Dieses Ende ist natürlich das Interessanteste am Ganzen. Denn nach dem Streit ist vor dem Streit. Zweierzwist hat die fatale Neigung, sich zu wiederholen. Ausser man findet heraus, wie man den Krieg am besten beenden könnte.

Streit ist doch kein Krieg.
Meistens fliesst kein Blut, das stimmt. Aber man kann leicht erkennen, dass grosse Kriege und häuslicher Zank aus dem gleichen Stoff gemacht sind. In beiden Fällen trägt die Fehde nichts zur Lösung des akuten Problems bei. Sie ist im Gegenteil selbst das Hauptproblem.

Wie schaffen Sie es, dass sich ein Paar nach dem Besuch einer Therapie weniger zankt?
Das schafft das Paar selber, indem es seine emotionale Intelligenz aktiviert.

Wie funktioniert das?
Ich lade das Paar zum Beispiel ein, explizit zu beschreiben, was für sie mühsam, irritierend, zum Verzweifeln ist im Beziehungsalltag.

Welche Geschichten erzählen die Frauen, welche die Männer?
Auffällig ist, dass Frauen häufig offensiv vorgehen und Männer defensiv. Das heisst, Frauen bringen ihr Beziehungsunglück gern in Form von Vorwürfen zur Sprache, während Männer sich gewöhnlich verteidigen und rechtfertigen. Frau und Mann kämpfen verzweifelt darum, verstanden zu werden – beide mit ihren eigenen Waffen.
«Nur drei Fragen bleiben offen: Was ist nicht streiten? Was ist guter Sex? Und was ist Versöhnung?.»
Wie geht es weiter?
Ich zeige dem Paar, dass ich der Einzige bin, der zuhört. In der Paartherapie bin ich wirklich der Einzige, der sich dafür interessiert, was die beiden quält und was ihnen fehlt. Aber bei ihnen zu Hause ist überhaupt niemand, der das hören will. So muss es Krieg geben. Für die meisten Paare ist es erschütternd, das greifbar am eigenen Leib zu erfahren.

Sind Paare, die erschüttert sind, friedensbereiter?
Ja, sicher. Wer sich erschüttern lässt, ist weniger hart. Er wird leichter sehen können, dass nicht der Andere schuld ist. «Du hast angefangen!» war noch tragbar zu Kita-Zeiten. Jetzt muss jeder klar sehen, wie er persönlich das Zerwürfnis befeuert hat. Das ist sein ganz persönlicher Beitrag zum Beziehungsfrieden.
In einer Beziehung kann nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen herrschen. Haben Sie konkrete Tipps, wie Paare im Alltag Streit verhindern können?
Es ist einfach: Krach gibt es nur, wenn wir beide nicht hören wollen, was der Andere sagt. Entweder bin ich zugänglich für die Anliegen und die Nöte des Partners oder wir haben Stunk. Kurz: Meine tauben Ohren bringen Zwist.

Der amerikanische Sexualtherapeut David Schnarch erklärt: Wer richtig streitet, der darf sich auf guten Versöhnungssex freuen. Wer will da nicht das Streiten lernen?
Schnarch sagt das griffig. Nur drei Fragen bleiben offen: Was ist richtig streiten? Was ist guter Sex? Und was ist Versöhnung? Niemand weiss das. Jedes Paar sieht sich vor dem lebenslangen Projekt, Antworten für sich selbst zu suchen und vielleicht sogar zu finden.

Für Sie macht es also keinen Sinn, nach einem heftigen Streit übereinander herzufallen und so die Beziehung sogar zu festigen?
Sie haben mich falsch verstanden. Wer es so macht, wie Sie es beschreiben, beherrscht eine beneidenswerte dramaturgische Raffinesse. Ich würde aber ein solches Prozedere niemals generell empfehlen.
«Frauen sind genauso streitbereit wie Männer. Beiden fällt es genauso schwer, die Schwerkraft der Selbstbezogenheit zu überwinden.»
Im Streit wird der Wut freier Lauf gelassen, und so kommt oft die Wahrheit ans Tageslicht.
Stimmt. Krasse Hilflosigkeit kommt ans Licht, manchmal auch Verzweiflung. Aber was bitte hat das mit Wahrheit zu tun?

Sagen Sie es mir.
Nichts. Der freie Lauf der Wut hinterlässt nur neue Wunden und mehr Einsamkeit zu zweit.

Das ist jetzt aber total schwarzgemalt, nicht?
Nicht schwarz ist das, sondern nüchtern. Ein liebendes Herz will nicht wüten, sondern solidarisch sein, wenn es paarintern schwierig wird. «Wir halten zusammen, in guten und bösen Tagen» hat man sich doch einst zugesichert, oder?

Wer ist friedensbereiter in einer Beziehung: die Frau oder der Mann?
Frauen sind genauso streitbereit wie Männer. Beiden fällt es genauso schwer, die Schwerkraft der Selbstbezogenheit zu überwinden und wirklich erfahren zu wollen, wer der Andere wirklich ist.

Wie ist es in gleichgeschlechtlichen Beziehungen: Sind die tendenziell friedlicher, weil das gegenseitige Verständnis grösser ist?
Nein. Lesben und Schwule sind auch nur Menschen. Exakt wie Heteros.

Wann haben Sie zum letzten Mal gestritten?
Vor etwa viereinhalb Jahren. Ich hatte für mich eine Nespressomaschine angeschafft. Obwohl ich wusste, dass meine Partnerin das Nestlé-Zeug verabscheut. Das gab ordentlich Zoff.

Und wie haben Sie Frieden gemacht?
Unsere Verhandlungen waren aufwendig. Wir einigten uns schliesslich darauf, dass es in meinem Haushalt auch einen italienischen Espressokocher für Biokaffee geben soll. Frieden ist ein anderes Wort für Kompromiss.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor