Bluewin-Magazin 17. Dezember 2015
Klaus Heer: «Der Harmonie-Anspruch stellt uns an Weihnachten ein Bein»
Weihnachten soll besinnlich und friedlich sein. Oft ist es aber das genaue Gegenteil davon. Warum wir uns an Weihnachten gerne zoffen und wie man das vermeiden kann. Mehr Stress als Spass – warum tun wir uns das jedes Jahr an Weihnachten an? Eigentlich sollten die Feiertage eine stille, besinnliche Zeit sein. Warum dann diese Hektik? – Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen hat Bluewin mit dem Berner Paartherapeuten Klaus Heer gesprochen.
INTERVIEW: BRUNO BÖTSCHI
INTERVIEW: BRUNO BÖTSCHI
Bluewin: Klaus Heer, welche Kindheitserinnerungen haben Sie an das Weihnachtsfest?
Klaus Heer: Meine Erinnerungen sind warm und wohlig. Ich bin in einer Grossfamilie aufgewachsen. Weihnachten war bei uns ein dichtes Ritual. Es gab eine Feier an der Krippe und Lieder beim Weihnachtsbaum. Und schliesslich sassen wir um den runden Familientisch mit einem Berg von Geschenken, die wir der Reihe nach auspacken durften. Jedes Jahr immer wunderbar gleich.
Und wie feiern Sie heute Weihnachten?
Weniger rituell, dafür umso spontaner. Dieses Jahr werde ich an Heiligabend entweder mit meiner Patchworkfamilie kochen, essen und singen. Oder mit meinen Schwiegereltern Raclette essen und Jassen. Oder mit meiner Schwester in einen weihrauchgeschwängerten Mitternachtsgottesdienst gehen. Oder allein nach Romanshorn fahren und lesen. Oder etwas ganz anderes tun. Das Passende wird sich von selbst ergeben.
Es können nicht alle die Planung der Festtage so spontan wie Sie angehen. Warum sind die Menschen an Weihnachten so gestresst?
Viele Menschen sind in ein engmaschiges Netz von persönlichen Verpflichtungen eingebunden. Das bedeutet Geborgenheit und emotionale Heimat, hat aber auch seinen Preis. Zum Beispiel kann man die Festtage nicht so feiern, wie man eigentlich möchte. Die Freiheit ist eingeschränkt, man ist unter Druck.
Klaus Heer: Meine Erinnerungen sind warm und wohlig. Ich bin in einer Grossfamilie aufgewachsen. Weihnachten war bei uns ein dichtes Ritual. Es gab eine Feier an der Krippe und Lieder beim Weihnachtsbaum. Und schliesslich sassen wir um den runden Familientisch mit einem Berg von Geschenken, die wir der Reihe nach auspacken durften. Jedes Jahr immer wunderbar gleich.
Und wie feiern Sie heute Weihnachten?
Weniger rituell, dafür umso spontaner. Dieses Jahr werde ich an Heiligabend entweder mit meiner Patchworkfamilie kochen, essen und singen. Oder mit meinen Schwiegereltern Raclette essen und Jassen. Oder mit meiner Schwester in einen weihrauchgeschwängerten Mitternachtsgottesdienst gehen. Oder allein nach Romanshorn fahren und lesen. Oder etwas ganz anderes tun. Das Passende wird sich von selbst ergeben.
Es können nicht alle die Planung der Festtage so spontan wie Sie angehen. Warum sind die Menschen an Weihnachten so gestresst?
Viele Menschen sind in ein engmaschiges Netz von persönlichen Verpflichtungen eingebunden. Das bedeutet Geborgenheit und emotionale Heimat, hat aber auch seinen Preis. Zum Beispiel kann man die Festtage nicht so feiern, wie man eigentlich möchte. Die Freiheit ist eingeschränkt, man ist unter Druck.
«Am schwersten wiegt die Einsamkeit zu zweit. Nur wenige Paare können darüber reden, ohne dass es kracht.»
Und dieser Druck, etwa das Geschenkekaufen, löst irgendwann Streit aus...
Stress bringt Streit, und Streit schafft neuen Stress. Die Adventszeit ist der Steilpass für emotionale Eskalation.
Eigentlich sollten doch die Festtage eine stille, besinnliche Zeit sein.
Die Hektik entsteht, weil alle ihr Möglichstes geben, um diese stille, besinnliche Weihnachtszeit herbei zu zwingen. Und das gibt viel zu tun und macht besinnungslos.
Wir haben den Anspruch harmonisch miteinander umzugehen: Aber warum streitet es sich dann besonders schön unter dem Tannenbaum?
Es ist dieser Harmonie-Anspruch, der uns ein Bein stellt. Weihnachten ist ein ganz besonderes Datum. Das Fest der Liebe soll es sein. Warum eigentlich? Genau genommen weiss kaum jemand, was es damit auf sich hat. Also bleibt der Kern des Anlasses hohl. Die Erwartungen sind dann ebenso hoch wie die Fallhöhe der Enttäuschungen. Weil wir den eigenen Glückshoffnungen nicht gewachsen sind. Das macht uns gereizt und aggressiv.
Stress bringt Streit, und Streit schafft neuen Stress. Die Adventszeit ist der Steilpass für emotionale Eskalation.
Eigentlich sollten doch die Festtage eine stille, besinnliche Zeit sein.
Die Hektik entsteht, weil alle ihr Möglichstes geben, um diese stille, besinnliche Weihnachtszeit herbei zu zwingen. Und das gibt viel zu tun und macht besinnungslos.
Wir haben den Anspruch harmonisch miteinander umzugehen: Aber warum streitet es sich dann besonders schön unter dem Tannenbaum?
Es ist dieser Harmonie-Anspruch, der uns ein Bein stellt. Weihnachten ist ein ganz besonderes Datum. Das Fest der Liebe soll es sein. Warum eigentlich? Genau genommen weiss kaum jemand, was es damit auf sich hat. Also bleibt der Kern des Anlasses hohl. Die Erwartungen sind dann ebenso hoch wie die Fallhöhe der Enttäuschungen. Weil wir den eigenen Glückshoffnungen nicht gewachsen sind. Das macht uns gereizt und aggressiv.
Warum lernen wir nichts daraus, sondern tun uns das jedes Jahr aufs Neue an?
Offenbar weil einer der dümmsten Sprüche doch recht hat, wonach die Hoffnung zuletzt stirbt. Diese irrationale Hoffnung etwas früher sterben zu lassen, ist eben für viele zu riskant.
Hat es auch damit zu tun, dass man an Weihnachten auch immer schöne Momente mit Verwandten und Freunden erlebt?
Ja, genau. Weihnachten ist für viele Paare eine Veranstaltung voller innerer Widersprüche. Man kann sie unmöglich fahren lassen, weil man aus nostalgischen, kindlichen Gründen genüsslich daran klebt. Und gleichzeitig stöhnt man über die konfliktgeladene Stimmung zu Hause. Solche Paradoxien sind schwer auszuhalten.
Offenbar weil einer der dümmsten Sprüche doch recht hat, wonach die Hoffnung zuletzt stirbt. Diese irrationale Hoffnung etwas früher sterben zu lassen, ist eben für viele zu riskant.
Hat es auch damit zu tun, dass man an Weihnachten auch immer schöne Momente mit Verwandten und Freunden erlebt?
Ja, genau. Weihnachten ist für viele Paare eine Veranstaltung voller innerer Widersprüche. Man kann sie unmöglich fahren lassen, weil man aus nostalgischen, kindlichen Gründen genüsslich daran klebt. Und gleichzeitig stöhnt man über die konfliktgeladene Stimmung zu Hause. Solche Paradoxien sind schwer auszuhalten.
«Stress bringt Streit, und Streit schafft neuen Stress. Die Adventszeit ist der Steilpass für emotionale Eskalation.»
Was ist schwierig dabei?
Am schwersten wiegt die Einsamkeit zu zweit. Nur wenige Paare können darüber reden, ohne dass es kracht. Darum lassen es die meisten bleiben. Einsamkeit und Weihnachten, das ist die Faust aufs Auge.
Auch Geschenke können zum Streitthema werden.
Ein extrem dorniges Thema, ja! Was soll ich schenken, wenn alle schon alles haben? Oder wenn meine sparsame Partnerin etwas ganz anderes im Kopf hat – oder gar nichts?
Früher gab es Kartoffelsalat mit Wienerli, heute wird meist opulent gegessen. Wieso tun wir uns das alles an?
Weil wir das Jo-Jo lieben. Zu Weihnachten Truthahn und Gans, beides gefüllt, im Januar Kohlehydratfreiheits-Wahn und Fettverbrennertabletten und so weiter. Das Hin und Her zwischen Völlerei und Askese ist chic und macht Spass.
Wie kann man den Druck aus dem Weihnachtsfest nehmen?
Druckfreie Weihnacht wäre wie ein Veloschlauch ohne Luft: holprig. Es läuft viel runder, wenn alles läuft wie die letzten Jahre. Abhelfen könnte nur das Aussteigen aus der strammen Oh-je-du-Fröhliche-Tradition. Wer will, kann, darf, wagt das schon?
Sie selber haben es geschafft und lassen sich von Festtagen nicht mehr stressen.
Nein, danke. Ich kann es mir leisten, missliebige festtägliche Verpflichtungen abzusagen und bin beinahe ohne weiteres auch fähig, an Heiligabend traulich allein zu sein, wenn mir danach ist. Diese süsse Freiheit geniesse ich zwar speziell an Weihnachten, sauer erworben habe ich sie mir aber während des ganzen Jahres.
Herr Heer, ich wünsche Ihnen schöne Weihnachten.
Am schwersten wiegt die Einsamkeit zu zweit. Nur wenige Paare können darüber reden, ohne dass es kracht. Darum lassen es die meisten bleiben. Einsamkeit und Weihnachten, das ist die Faust aufs Auge.
Auch Geschenke können zum Streitthema werden.
Ein extrem dorniges Thema, ja! Was soll ich schenken, wenn alle schon alles haben? Oder wenn meine sparsame Partnerin etwas ganz anderes im Kopf hat – oder gar nichts?
Früher gab es Kartoffelsalat mit Wienerli, heute wird meist opulent gegessen. Wieso tun wir uns das alles an?
Weil wir das Jo-Jo lieben. Zu Weihnachten Truthahn und Gans, beides gefüllt, im Januar Kohlehydratfreiheits-Wahn und Fettverbrennertabletten und so weiter. Das Hin und Her zwischen Völlerei und Askese ist chic und macht Spass.
Wie kann man den Druck aus dem Weihnachtsfest nehmen?
Druckfreie Weihnacht wäre wie ein Veloschlauch ohne Luft: holprig. Es läuft viel runder, wenn alles läuft wie die letzten Jahre. Abhelfen könnte nur das Aussteigen aus der strammen Oh-je-du-Fröhliche-Tradition. Wer will, kann, darf, wagt das schon?
Sie selber haben es geschafft und lassen sich von Festtagen nicht mehr stressen.
Nein, danke. Ich kann es mir leisten, missliebige festtägliche Verpflichtungen abzusagen und bin beinahe ohne weiteres auch fähig, an Heiligabend traulich allein zu sein, wenn mir danach ist. Diese süsse Freiheit geniesse ich zwar speziell an Weihnachten, sauer erworben habe ich sie mir aber während des ganzen Jahres.
Herr Heer, ich wünsche Ihnen schöne Weihnachten.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor