Dr. Klaus Heer

Ostschweiz am Sonntag vom 14. Februar 2016
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«Nur nicht zu romantisch»

Am Valentinstag zelebrieren Paare ihre Liebe so perfekt wie möglich – auf Kommando vieler Branchen, die an der Gefühlsduselei verdienen. Man orientiere sich besser nicht zu sehr an der Idee der romantischen Liebe, meint der Paartherapeut Klaus Heer. Und auch andere Experten halten wenig davon.

VON DIANA HAGMANN-BULA
Rosen, Kerzen, ein Glas Champagner, ein Sonnenuntergang und ein Blick tief in die Augen. Das sind die Zutaten, mit denen TV-Sendungen wie «Der Bachelor» oder «Hochzeit auf den ersten Blick» kitschige Romantik zubereiten. Und auch wenn sich Paare in Filmen just unter dem Eiffelturm küssen, ist den Zuschauern eigentlich klar: Alles nur für die Kamera, im wahren Leben ist es anders. Und doch machen einige am Valentinstag dann ein langes Gesicht, wenn keine roten Rosen auf dem Tisch liegen.

Kaufen als Liebesbeweis
Dabei geht die Liebe gerade heute eine perfide Liaison ein – mit dem Konsum. Wer liebt, so wird vermittelt, der beschenkt. Wer liebt, der verreist gemeinsam. Wer liebt, der geht zusammen essen. Wenn im Restaurant die Blicke nicht so eindringlich aus fallen wie in Kinofilmen, sind einige wiederum geknickt. Der Valentinstag ist der Tag, an dem sich romantische Erwartungen zuspitzen, er ist aber auch der Tag der unromantischen Enttäuschungen. Schon wird gezweifelt am Gegenüber, an der ganzen Beziehung. Zu wenig Leidenschaft? Zu wenig Magie? Zu wenig Gefühle?

Diese unheimliche Koppelung von Romantik und Kaufen als Beweis für grosse Gefühle: Man weiss um sie, will sie umgehen und schafft es doch nicht. «Die Verbindung von Liebe und postmoderner Konsumkultur hat sich tief in die Seelen der gebildetsten und kreativsten Gesellschaftsteile eingeprägt und übt eine Macht aus, die sich nicht leicht im Schnellverfahren abschaffen lässt», schreibt denn auch die israelische Soziologin Eva Illouz im Buch «Konsum der Romantik».

Der Schwyzer Ethnologe und Lyriker Jürg von Ins hält Rosen, Kerzen und Sonnenuntergang für «ein beschränktes Repertoire, völlig verarmt und oberflächlich». «In der klassischen arabischen oder indischen Liebeskunst etwa würde sich ein Paar den ganzen Tag in ein anregend dekoriertes Zimmer zurückgezogen haben, um dort bei Tee und Räucherstäbchen zusammen zu sein», sagt er. Und verweist auf den französischen Philosophen Michel Foucault, der geschrieben habe, die zerfallende Liebeskunst in Europa sei durch das schlechte Gewissen ersetzt worden. Dieses manifestiere sich nun in Rosensträussen und Pralinenschachteln, ist von Ins überzeugt. «Das ist für die Wirtschaft interessanter, als wenn man den Nachmittag mit seiner Angebeteten im Zimmer verbringt.»

«Romantik, eine Lüge»

Unterdessen sabotieren immer mehr Menschen den Kaufzwang anlässlich des Valentinstags. Und auch die Idee der romantischen Liebe lässt sich hinterfragen. Gibt es den einen Mr. Right, der liebe- und verständnis voll ist, erfolgreich und beschützend, abenteuerlustig und leidenschaftlich? Eine Frau für alles und immer? Eine Liebe, die Sicherheit gibt und den noch lange lodert? Nein, belegt die hohe Scheidungsrate. Nein, war auch der US-amerikanische Psychiater M. Scott Peck überzeugt. Er hielt die romantische Liebe für eine Lüge: «Als Psychiater tut es mir im Herzen weh, fast täglich sehen zu müssen, welche Verwirrung und welches Leid dieser Mythos anrichtet.» Nicht erstaunlich also, dass manche Völker Verliebtheit und damit den Verlust der Vernunft als Krankheit erachten und Betroffene zum Medizinmann schicken.

Romantik, sagt Ethnologe und Lyriker Jürg von Ins, sei fast immer eine Täuschung. «Doch schon früher hat es solche Konstruktionen als Lebensvorlage gegeben. Allerdings kamen sie nicht aus dem Fernsehen, sondern aus Romanen.» Aus Büchern, die unterhalten sollten und ebenfalls äusserst träumerische, irrationale Töne anschlugen, wenn es um die Liebe ging.

Dates wie im Westen
Obwohl die romantische Liebe – ausser vielleicht bei ganz Frischverliebten, bei denen die rosarote Brille noch fest auf der Nase sitzt – ein Konstrukt des Konsums, der Phantasie und der Hoffnung ist: Auch andere Kulturen eifern dem westlichen Vorbild nach. In Indien etwa lassen sich immer mehr junge Menschen von dieser Gefühlsduselei und ihren, zu gegeben, schönen Seiten – im Park Händchen halten, im Cafe ́ verliebt Glace aus einem Becher schlemmen – verleiten, wie Christiane Brosius, Leiterin des Lehrstuhls für Visual and Media Anthropology an der Universität Heidelberg, in einem Essay schreibt.
Die Mehrheit von indischen Heranwachsenden ziehe zwar weiterhin die arrangierte Hochzeit und damit einen Partner vor, den ihre Eltern auserwählt haben. «Mit der Wirtschaftsliberalisierung der 1990er-Jahre entstanden in Städten aber neue Orte des Konsums und der Freizeit, etwa Cafe ́s, Kneipen, Einkaufsmeilen, Parks und Kinos, an denen verliebte Paare auf neue Weise ihre Inseln der Privatheit errichten können.»

Seit 1990 feiern nun auch Verliebte in Indien den Valentinstag. Und fühlen sich dabei modern in ihren Gefühlen und Lebensentwürfen. In Tokyo strömen Japanerinnen hin gegen regelmässig in edle Bars, in denen weisse Männer verkehren. Die Hoffnung der Frauen: Liebe zu finden – und westliche Romantik, wie Ethnologe Jürg von Ins erzählt. Und Jugendliche in Nepal schreiben sich schwärmerische Briefe, um hip zu sein. Die romantische Liebe, sie steht in diesen Kulturen nicht nur für Aufbruch, sondern auch für Freiheit und Selbstbestimmung.
«Viele Paare erwarten, fliegen zu können. Doch der Mensch ist dafür nicht gemacht, er braucht Bodenkontakt.»
Vom Zweck zu Gefühlen
Doch auch bei uns ist die romantische Liebe, streng genommen, ein Konstrukt der Moderne. Einst zählten in der Ehe nicht Gefühle, sondern andere Bedingungen: «Vor Einführung des Wohlfahrtsstaates war sie die wichtigste Not- und Solidargemeinschaft», schreibt der Soziologe François Höpflinger. Im 18. Jahr hundert versuchte das aufstrebende Bürgertum dann erstmals Ehe und Emotionen zu vereinen. Doch es brauchte noch viele Jahre bis sich die Liebesheirat in anderen Schichten durchsetzte. «Erst die wirtschaftliche Hochkonjunktur nach dem Zweiten Weltkrieg erleichterte es jungen Leuten, den Wunsch nach einer Ehe zu verwirklichen», so Höpflinger. Diese «Dreieinigkeit von Liebe, Ehe und Sexualität» hatte Auswirkungen auf die Stellung der Frau: Er musste nun um sie werben, denn ihr Herz konnte sich jederzeit noch für einen anderen entscheiden.

«Die Anerkennung geniessen»
Bis heute hat sich die romantische Liebe in vielen Köpfen gehalten. Doch der Berner Paartherapeut Klaus Heer hält nicht viel von ihr. «Das Ausmass der Enttäuschung ist bei hohen romantischen Ansprüchen viel grösser, als wenn man eher nüchtern in eine Beziehung startet. Viele Paare erwarten, fliegen zu können. Doch der Mensch ist dafür nicht gemacht, er braucht Bodenkontakt», sagt er. Wer davon ausgehe, seinem Partner stets so viel zu sagen zu haben wie zu Beginn der Partnerschaft, werde eines Tages ernüchtert dastehen. Und nicht wissen, wie er die Redseligkeit vom Anfang erhalten kann. «Darum ist er wohl ernüchterter als Menschen in arrangierten oder Vernunftehen. Jedenfalls ist erwiesen, dass diese Modelle mindestens die gleichen Chancen auf Glück bringen wie das romantische», sagt Heer.

An Tagen wie heute fühlen sich die Vertreter aller Modelle irgendwie zu Romantik gedrängt. Dass Überraschungen Sache des Mannes und nicht der Frau sind, ist noch immer die oft verbreitete Überzeugung. Eine überholte Erwartung in einer Zeit, in der immer mehr Frauen Kaderpositionen belegen und auf gleiche Löhne wie männliche Kollegen pochen, denkt man sich. Heer meint jedoch, dass sich Mann und Frau «erst in 200 bis 300 Jahren auf Augenhöhe beschenken» werden. «Das ist nicht schlimm. Schliesslich sind Frauen jahrhundertelang als Arbeitstier, Gebärmaschine und Prostituierte ausgebeutet worden. Es ist mehr als gerecht, dass sie nun nachholt, was man ihr lange verweigert hat – und sie die Anerkennung geniesst», sagt er.
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor