Central Apotheke Magazin Aarau vom Oktober 2009
Forscher im Liebesgarten
Paarpsychologe Klaus Heer erklärt, wieso jede Ehe irgendwann zur Vernunftbeziehung wird, weshalb man Kinder und Liebesbeziehung nicht unter einen Hut bringen kann – und warum Paare trotzdem allen Grund haben, dankbar zu sein.
Herr Heer, damit wir das gleich zu Beginn klären können: Gibt es die «ewige Liebe»?
Klar gibt es die. Sie können die Leute fragen, fast alle haben es schon erlebt. Einmal oder ein paar Mal in ihrem Leben, durchschnittlich 90 Tage lang. So lange dauert der Zustand der Verliebtheit. Aber im Ernst: Ich weiss es nicht. Jeder versteht unter «Liebe» etwas anderes. Und bei keinem dauert «ewig» gleich lange.
Klar gibt es die. Sie können die Leute fragen, fast alle haben es schon erlebt. Einmal oder ein paar Mal in ihrem Leben, durchschnittlich 90 Tage lang. So lange dauert der Zustand der Verliebtheit. Aber im Ernst: Ich weiss es nicht. Jeder versteht unter «Liebe» etwas anderes. Und bei keinem dauert «ewig» gleich lange.
Neigen wir dazu, die Liebe zu verklären?
Ja, Liebe gilt als «Himmelsmacht». Diese Idee stammt aus den kurzen Zeiten, wo wir verliebt waren. Und aus Büchern, Film und Fernsehen.
Welche Vorstellungen über eine «gute Beziehung» herrschen in unserem Kulturkreis vor?
In erster Linie stellt man sich vor, dass eine gute Beziehung die eigenen Bedürfnisse befriedigt. Vor allem die emotionalen; Geliebt- und Verstandenwerden, Geborgenheit und Anerkennung. Heute muss die Beziehung eine Rundum-Wellness-Einrichtung sein. Und das bei möglichst kleinem eigenem Aufwand.
War das vor 50 Jahren auch schon so?
Nein, nicht ganz. Früher war vor allem wichtig, dass man sich in der Familie gegenseitig unterstützte. Seit der Mitte des letzten Jahrhunderts hat sich der Trend massiv verstärkt, dass die Zweierbeziehung die emotionale Grundversorgung beider Partner zu leisten hat.
Das überladene Beziehungsideal von heute passt also nicht zum Beziehungsalltag.
Genau. Das konkrete tägliche Zusammenleben hat sein eigenes Gesicht. Aber auch seine eigene Schönheit. Zum Beispiel, dass man nicht allein ist und einander tätig zur Seite steht. Das ist Grund genug, dankbar zu sein, jeden Tag. Wer davon träumt, die Beziehung müsste doch anders sein, mehr hergeben oder glücklicher machen – der macht sich unglücklich.
Was macht eine gute Partnerschaft aus?
Das weiss ich nicht. Es ist die Hauptfrage in jeder Partnerschaft, das herauszufinden. Das muss die Frage sein, mit der man zu zweit immerzu unterwegs ist, die man sich und einander unermüdlich stellt und kreativ beantwortet. Immer wieder neu.
Macht das den Kitt für eine Zweierbeziehung aus?
«Kitt» riecht nach Klebstoff. Aneinanderkleben – nein, danke! Ich würde lieber fragen: Was weckt und erhält die Freude, die wir aneinander haben könnten? Auch diese Antwort ist für jedes Paar sehr persönlich und einzigartig.
Und die Ehe, ist die auch «Klebstoff»?
Nein, zum Glück gibt es sie. Sie ist eine ebenso nützliche Erfindung wie der öffentliche Verkehr und das Opernhaus: Gold wert und entsprechend teuer. Und die Heirat bedeutet ein besonders deutliches und engagiertes Ja zur Beziehung.
Wie verändert das Verheiratetsein eine
Liebesbeziehung?
Wenn man in den Hafen der Ehe einfährt und sich dort vertäut, kann man nicht mehr ohne Weiteres auf die hohe See hinausfahren. Bei dieser Entscheidung spielen oft Sicherheitsinteressen mit: Jetzt gehören die zwei erst richtig zusammen. Das ist natürlich zwiespältig. Geborgen sein ist schön, sich eingesperrt fühlen gar nicht. Von «zueinander gehören» ist es meist nur ein kleiner Schritt zu «einander gehören».
Früher, heisst es oft, war es mit der Ehe einfacher, da die Rollenzuteilung klar war. Stimmt das?
(Lacht) Ja, früher war alles einfacher, als die Frauen ihre Beziehungsbedürfnisse noch für sich behielten, das stimmt. Heute drücken die Frauen klarer aus, wie sie sich eine Beziehung vorstellen. Und sie lassen fast nichts mehr unversucht, diese Ideen auch durchzusetzen. Damit ist die Beziehung generell unübersichtlich und offensichtlich konfliktanfälliger geworden.
Sodass heute jede zweite Ehe geschieden wird.
Die Gründe für die gestiegenen Scheidungsraten sind komplex. Einerseits sind viele Paare überfordert mit dem sozialen Mikrokosmos, den sie sich selbst geschaffen haben, und versagen gemeinsam. Unsere emotionalen Fähigkeiten sind nicht auf der Höhe der Anforderungen des 21. Jahrhunderts. Wir wissen ja nicht einmal mehr, worauf es eigentlich ankäme, wenn wir es «gut machen» wollten in unserer Ehe.
Und andererseits?
Auf der anderen Seite ist es mehr als verständlich, dass wir unseren eigenen Liebesschwüren untreu werden. Wer zu Beginn des 20. Jahrhunderts seinem Geliebten zärtlich ins Ohr flüsterte: «Mit dir will ich alt werden, Schätzeli!», der versprach damit Treue für eine durchschnittliche Ehedauer von 15 Jahren. Heute heisst der gleiche Schwur, die beiden Täubchen müssten es bis zum Pflegeheim glatte 50 Jahre miteinander aushalten. Das ist krass.
Und dennoch heiraten viele Paare im festen Glauben, sie hätten das immerwährende Liebesglück gepachtet …
Ich bin mir da inzwischen nicht mehr ganz so sicher. Die Meldungen von der Ehefront sind ja alles andere als positiv. Tatsächlich kann man sich als Braut und Bräutigam absolut nicht vorstellen, dass man nach wenigen Jahren Zweisamkeit schon unglücklich sein könnte: «Das passiert allen anderen, aber uns doch nicht!» Vermutlich ist das eher eine Beschwörungsformel als eine zweifelsfreie Gewissheit.
Gibt es so etwas wie Gift für eine Partnerschaft?
Was die Partnerschaft ruiniert, sind nicht irgendwelche Giftstoffe. Eher eine verhängnisvolle Mischung aus Unwissenheit, Passivität, Mutlosigkeit, Ausweichen, Unlust, Stummheit und ähnlichem. Dieser Mix wirkt still und unauffällig im Inneren der beiden Partner und führt schliesslich zur kraftlosen Resignation.
Viele Frauen und Männer harren in Beziehungen aus, obwohl sie unglücklich und resigniert sind. Wieso tun sie sich das an?
Sie harren aus, weil sie resigniert sind. Zu resigniert, um irgendwelche konstruktiven Konsequenzen aus ihrem Unglück zu ziehen.
Resigniert – und vielleicht auch sexuell frustriert?
Wie wichtig ist Sex in einer Liebesbeziehung? Das weiss ich nicht. Jedes Paar bestimmt den Stellenwert von Berührung, Erotik und Sexualität in seiner Ehe eigenständig. Niemand sollte sich von dem weit verbreiteten Märchen ins Bockshorn jagen lassen, Sex gehöre unbedingt dazu, zu einer «normalen» Beziehung. Was normal ist, definieren immer Mann und Frau für sich selbst.
Ja, Liebe gilt als «Himmelsmacht». Diese Idee stammt aus den kurzen Zeiten, wo wir verliebt waren. Und aus Büchern, Film und Fernsehen.
Welche Vorstellungen über eine «gute Beziehung» herrschen in unserem Kulturkreis vor?
In erster Linie stellt man sich vor, dass eine gute Beziehung die eigenen Bedürfnisse befriedigt. Vor allem die emotionalen; Geliebt- und Verstandenwerden, Geborgenheit und Anerkennung. Heute muss die Beziehung eine Rundum-Wellness-Einrichtung sein. Und das bei möglichst kleinem eigenem Aufwand.
War das vor 50 Jahren auch schon so?
Nein, nicht ganz. Früher war vor allem wichtig, dass man sich in der Familie gegenseitig unterstützte. Seit der Mitte des letzten Jahrhunderts hat sich der Trend massiv verstärkt, dass die Zweierbeziehung die emotionale Grundversorgung beider Partner zu leisten hat.
Das überladene Beziehungsideal von heute passt also nicht zum Beziehungsalltag.
Genau. Das konkrete tägliche Zusammenleben hat sein eigenes Gesicht. Aber auch seine eigene Schönheit. Zum Beispiel, dass man nicht allein ist und einander tätig zur Seite steht. Das ist Grund genug, dankbar zu sein, jeden Tag. Wer davon träumt, die Beziehung müsste doch anders sein, mehr hergeben oder glücklicher machen – der macht sich unglücklich.
Was macht eine gute Partnerschaft aus?
Das weiss ich nicht. Es ist die Hauptfrage in jeder Partnerschaft, das herauszufinden. Das muss die Frage sein, mit der man zu zweit immerzu unterwegs ist, die man sich und einander unermüdlich stellt und kreativ beantwortet. Immer wieder neu.
Macht das den Kitt für eine Zweierbeziehung aus?
«Kitt» riecht nach Klebstoff. Aneinanderkleben – nein, danke! Ich würde lieber fragen: Was weckt und erhält die Freude, die wir aneinander haben könnten? Auch diese Antwort ist für jedes Paar sehr persönlich und einzigartig.
Und die Ehe, ist die auch «Klebstoff»?
Nein, zum Glück gibt es sie. Sie ist eine ebenso nützliche Erfindung wie der öffentliche Verkehr und das Opernhaus: Gold wert und entsprechend teuer. Und die Heirat bedeutet ein besonders deutliches und engagiertes Ja zur Beziehung.
Wie verändert das Verheiratetsein eine
Liebesbeziehung?
Wenn man in den Hafen der Ehe einfährt und sich dort vertäut, kann man nicht mehr ohne Weiteres auf die hohe See hinausfahren. Bei dieser Entscheidung spielen oft Sicherheitsinteressen mit: Jetzt gehören die zwei erst richtig zusammen. Das ist natürlich zwiespältig. Geborgen sein ist schön, sich eingesperrt fühlen gar nicht. Von «zueinander gehören» ist es meist nur ein kleiner Schritt zu «einander gehören».
Früher, heisst es oft, war es mit der Ehe einfacher, da die Rollenzuteilung klar war. Stimmt das?
(Lacht) Ja, früher war alles einfacher, als die Frauen ihre Beziehungsbedürfnisse noch für sich behielten, das stimmt. Heute drücken die Frauen klarer aus, wie sie sich eine Beziehung vorstellen. Und sie lassen fast nichts mehr unversucht, diese Ideen auch durchzusetzen. Damit ist die Beziehung generell unübersichtlich und offensichtlich konfliktanfälliger geworden.
Sodass heute jede zweite Ehe geschieden wird.
Die Gründe für die gestiegenen Scheidungsraten sind komplex. Einerseits sind viele Paare überfordert mit dem sozialen Mikrokosmos, den sie sich selbst geschaffen haben, und versagen gemeinsam. Unsere emotionalen Fähigkeiten sind nicht auf der Höhe der Anforderungen des 21. Jahrhunderts. Wir wissen ja nicht einmal mehr, worauf es eigentlich ankäme, wenn wir es «gut machen» wollten in unserer Ehe.
Und andererseits?
Auf der anderen Seite ist es mehr als verständlich, dass wir unseren eigenen Liebesschwüren untreu werden. Wer zu Beginn des 20. Jahrhunderts seinem Geliebten zärtlich ins Ohr flüsterte: «Mit dir will ich alt werden, Schätzeli!», der versprach damit Treue für eine durchschnittliche Ehedauer von 15 Jahren. Heute heisst der gleiche Schwur, die beiden Täubchen müssten es bis zum Pflegeheim glatte 50 Jahre miteinander aushalten. Das ist krass.
Und dennoch heiraten viele Paare im festen Glauben, sie hätten das immerwährende Liebesglück gepachtet …
Ich bin mir da inzwischen nicht mehr ganz so sicher. Die Meldungen von der Ehefront sind ja alles andere als positiv. Tatsächlich kann man sich als Braut und Bräutigam absolut nicht vorstellen, dass man nach wenigen Jahren Zweisamkeit schon unglücklich sein könnte: «Das passiert allen anderen, aber uns doch nicht!» Vermutlich ist das eher eine Beschwörungsformel als eine zweifelsfreie Gewissheit.
Gibt es so etwas wie Gift für eine Partnerschaft?
Was die Partnerschaft ruiniert, sind nicht irgendwelche Giftstoffe. Eher eine verhängnisvolle Mischung aus Unwissenheit, Passivität, Mutlosigkeit, Ausweichen, Unlust, Stummheit und ähnlichem. Dieser Mix wirkt still und unauffällig im Inneren der beiden Partner und führt schliesslich zur kraftlosen Resignation.
Viele Frauen und Männer harren in Beziehungen aus, obwohl sie unglücklich und resigniert sind. Wieso tun sie sich das an?
Sie harren aus, weil sie resigniert sind. Zu resigniert, um irgendwelche konstruktiven Konsequenzen aus ihrem Unglück zu ziehen.
Resigniert – und vielleicht auch sexuell frustriert?
Wie wichtig ist Sex in einer Liebesbeziehung? Das weiss ich nicht. Jedes Paar bestimmt den Stellenwert von Berührung, Erotik und Sexualität in seiner Ehe eigenständig. Niemand sollte sich von dem weit verbreiteten Märchen ins Bockshorn jagen lassen, Sex gehöre unbedingt dazu, zu einer «normalen» Beziehung. Was normal ist, definieren immer Mann und Frau für sich selbst.
Gibt es noch andere Märchen über Sex?
Eine ganze Menge sogar. Das grösste und folgenreichste von ihnen pflegen wir sogar an zwei Orten gleichzeitig: zwischen den Ohren und zwischen den Beinen. Im Kopf denken wir, beim Sex gehe es letztlich um den Orgasmus, er sei der Gipfel allen Tuns im Bett. Everest Kulm sozusagen. Sex ohne dieses Schlussbouquet habe eigentlich keinen Sinn.
Und welche Folgen haben solche Vorstellungen im Bett?
Diese fixen Ideen machen uns grosse Probleme beim Liebemachen. Nur die wenigsten Paare schaffen dieses orgastische Jonglierkunststück vom gemeinsamen, gleichzeitigen Feuerwerk. Der Orgasmus kommt gewöhnlich, wie und wann er will. Zu mickrig, zu früh, zu spät oder gar nicht. Und sogar wenn er kommt, fühlt er sich oft nicht wirklich befriedigend an.
Woher dann diese Orgasmusfixiertheit?
Viele unserer verdrehten Ideen über Sex stammen aus der Pornowelt. Eine gigantische Pornoflut ergiesst sich seit den letzten Jahren via Internet über uns, über uns Männer vor allem. 420 Millionen für jedermann leicht zugängliche Websites sind es im Moment, Tendenz rasant steigend. Pornografie regt nicht die Fantasie an, wie man immer wieder hören kann, im Gegenteil. Sie versaut unsere Sexualität mit einem frauenverachtenden Einheitssexbrei.
Wie kann ein Paar sein Liebesleben jenseits von solchen fixen oder verdrehten Ideen gestalten?
Wie einen Garten. Er gedeiht und blüht nur, wenn man ihn liebevoll pflegt. Gemeinsam, fantasievoll, mit Hingabe. Wichtigste Vorbedingung ist ein fruchtbarer Boden: Zeit. Man muss dem Partner immer wieder von seiner Lebenszeit schenken. Nicht zu vergessen ist auch das Beziehungsklima. Jeder Liebesgarten braucht seine eigenen klimatischen Verhältnisse. An einer zweisamen Klimakonferenz kann man das klären.
Sie meinen, man muss zuerst die Pflanzfolge besprechen, einfach drauflosgärtnern bringts nicht?
Sie sagen es. Das ist doch auch in allen anderen Lebensbereichen so, etwa im Berufsleben. Allerdings ist die Allerweltsempfehlung «Man muss halt reden miteinander» nicht ganz das Wahre. Reden kann jeder. Auch Männer! Nur vergeht einem das Reden, wenn niemand da ist, der hören will, was man sagt. Offene Ohren und weite Herzen bringen jeden Liebesgarten zum Blühen. Fast jeden.
Was halten Sie eigentlich von getrennten Schlafzimmern?
Viele Paare machen sich das Leben schwer, indem sie einander plagen mit allerhand nächtlichem Ungemach. Wann gehen wir zu Bett und wann löschen wir das Licht? Schlafen wir bei offenem Fenster? Sie stören ihren Schlaf mit Revierkämpfen im Bett – ohne es zu merken. Das Schlimmste ist vermutlich das Schnarchen. Das ist wahrlich nur knapp auszuhalten.
Dann plädieren Sie dafür, die Schlafzimmer zu trennen?
Nein, wie käme ich dazu? Ich weiss doch, dass es auch seine Tücken hat, wenn jeder in seinem eigenen Zimmer haust. Viel selbstverständliche Gelegenheit zu wohliger Körpernähe fällt weg. Es besteht die Gefahr, dass man den erotischen Faden zueinander tatsächlich verliert. Ausser man kümmert sich sorgfältig um sein Liebesleben. Die Schlafzimmerfrage ist ein Dilemma, eine simple Lösung gibt es nicht. Beziehung ist überhaupt die deutsche übersetzung für das griechische Wort Dilemma. Wer sich zusammentut, begegnet einem Dilemma nach dem anderen.
Eine Zweierbeziehung ist also keine einfache Sache. Was, wenn noch Kinder dazukommen?
Kinder krempeln die Zweierbeziehung total um. Meistens wird die Beziehung gar bis zur Unkenntlichkeit verändert. Zweisamkeit und Familie sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Ein Kind macht aus einer Liebesbeziehung eine Lebensgemeinschaft. Die wenigsten Paare sind willens und fähig, diese radikale Veränderung zu akzeptieren.
Kann man Liebesbeziehung und Elternsein unter einen Hut bringen?
Gegenfrage: Wie kann man Frühling und Herbst unter einen Hut bringen? Wer sich gegen die Umwandlung von Zweisamkeit zur Familie stemmt, macht sich das Zusammenleben schwer. Viel schwerer, als es eigentlich ist.
Wie verändert sich eine Beziehung im Verlauf des Lebens?
Jede Liebesbeziehung, die lange genug dauert, wird zu einer Vernunftehe. Vernunft insofern, als nur zwei emotional intelligente Leute eine geglückte Beziehung führen können. Das hat mit Einfühlungsfähigkeit, Mut und psychischer Eigenständigkeit zu tun. Da wir heute im Durchschnitt sehr alt werden, haben wir rund 50 Jahre Zeit, das zu erreichen. Zu zweit und jeder für sich.
Bietet eine Vernunftehe einen guten Boden für eine erfüllte Sexualität im Alter?
Man weiss aus Untersuchungen, dass sehr viele Paare ihren Sex zur Ruhe betten, wenn sie zehn oder fünfzehn Jahre zusammen sind. Sie sind überfordert und entmutigt von ihren miesen Betterfahrungen. Und sie verlegen sich auf spannendere Hobbys. Das ist natürlich in Ordnung, aber auch ein bisschen schade, finde ich. Denn Mann und Frau werden vermutlich erst mit ungefähr 50 langsam sexuell reif.
Das würde bedeuten, dass ein Paar bis ins hohe Alter sexuell lebendig bleiben könnte.
Genau das. Miteinander reif werden ist eine aufregende Herausforderung, sowohl im alltäglichen Zusammenleben als auch im Bett. Der Tod rückt einem ja unaufhaltsam näher auf den Pelz. Er schickt seine Boten voraus, nämlich zunehmende Schwäche und allerhand Krankheiten. Man weiss: Wir haben nicht mehr viel Zeit. Das macht doch eigentlich jeden Augenblick wertvoll.
Sind sich alte und ältere Paare dessen bewusst?
Ja, vermutlich. Aber ich glaube, nur den wenigsten gelingt es, einander auch zu sagen, dass ihnen das klar ist, und ihre Beziehung entsprechend zu beleben. Die meisten haben zu lange über das Wesentliche geschwiegen, häufig ein Eheleben lang. Grad gestern erzählte mir ein früherer Klient, er habe die Liebe zu seiner Frau erst entdeckt, als sie wenige Wochen vor ihrem Krebstod stand. Vierzig Jahre war sie da, die Liebe, und wartete geduldig darauf, gelebt zu werden.
Eine ganze Menge sogar. Das grösste und folgenreichste von ihnen pflegen wir sogar an zwei Orten gleichzeitig: zwischen den Ohren und zwischen den Beinen. Im Kopf denken wir, beim Sex gehe es letztlich um den Orgasmus, er sei der Gipfel allen Tuns im Bett. Everest Kulm sozusagen. Sex ohne dieses Schlussbouquet habe eigentlich keinen Sinn.
Und welche Folgen haben solche Vorstellungen im Bett?
Diese fixen Ideen machen uns grosse Probleme beim Liebemachen. Nur die wenigsten Paare schaffen dieses orgastische Jonglierkunststück vom gemeinsamen, gleichzeitigen Feuerwerk. Der Orgasmus kommt gewöhnlich, wie und wann er will. Zu mickrig, zu früh, zu spät oder gar nicht. Und sogar wenn er kommt, fühlt er sich oft nicht wirklich befriedigend an.
Woher dann diese Orgasmusfixiertheit?
Viele unserer verdrehten Ideen über Sex stammen aus der Pornowelt. Eine gigantische Pornoflut ergiesst sich seit den letzten Jahren via Internet über uns, über uns Männer vor allem. 420 Millionen für jedermann leicht zugängliche Websites sind es im Moment, Tendenz rasant steigend. Pornografie regt nicht die Fantasie an, wie man immer wieder hören kann, im Gegenteil. Sie versaut unsere Sexualität mit einem frauenverachtenden Einheitssexbrei.
Wie kann ein Paar sein Liebesleben jenseits von solchen fixen oder verdrehten Ideen gestalten?
Wie einen Garten. Er gedeiht und blüht nur, wenn man ihn liebevoll pflegt. Gemeinsam, fantasievoll, mit Hingabe. Wichtigste Vorbedingung ist ein fruchtbarer Boden: Zeit. Man muss dem Partner immer wieder von seiner Lebenszeit schenken. Nicht zu vergessen ist auch das Beziehungsklima. Jeder Liebesgarten braucht seine eigenen klimatischen Verhältnisse. An einer zweisamen Klimakonferenz kann man das klären.
Sie meinen, man muss zuerst die Pflanzfolge besprechen, einfach drauflosgärtnern bringts nicht?
Sie sagen es. Das ist doch auch in allen anderen Lebensbereichen so, etwa im Berufsleben. Allerdings ist die Allerweltsempfehlung «Man muss halt reden miteinander» nicht ganz das Wahre. Reden kann jeder. Auch Männer! Nur vergeht einem das Reden, wenn niemand da ist, der hören will, was man sagt. Offene Ohren und weite Herzen bringen jeden Liebesgarten zum Blühen. Fast jeden.
Was halten Sie eigentlich von getrennten Schlafzimmern?
Viele Paare machen sich das Leben schwer, indem sie einander plagen mit allerhand nächtlichem Ungemach. Wann gehen wir zu Bett und wann löschen wir das Licht? Schlafen wir bei offenem Fenster? Sie stören ihren Schlaf mit Revierkämpfen im Bett – ohne es zu merken. Das Schlimmste ist vermutlich das Schnarchen. Das ist wahrlich nur knapp auszuhalten.
Dann plädieren Sie dafür, die Schlafzimmer zu trennen?
Nein, wie käme ich dazu? Ich weiss doch, dass es auch seine Tücken hat, wenn jeder in seinem eigenen Zimmer haust. Viel selbstverständliche Gelegenheit zu wohliger Körpernähe fällt weg. Es besteht die Gefahr, dass man den erotischen Faden zueinander tatsächlich verliert. Ausser man kümmert sich sorgfältig um sein Liebesleben. Die Schlafzimmerfrage ist ein Dilemma, eine simple Lösung gibt es nicht. Beziehung ist überhaupt die deutsche übersetzung für das griechische Wort Dilemma. Wer sich zusammentut, begegnet einem Dilemma nach dem anderen.
Eine Zweierbeziehung ist also keine einfache Sache. Was, wenn noch Kinder dazukommen?
Kinder krempeln die Zweierbeziehung total um. Meistens wird die Beziehung gar bis zur Unkenntlichkeit verändert. Zweisamkeit und Familie sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Ein Kind macht aus einer Liebesbeziehung eine Lebensgemeinschaft. Die wenigsten Paare sind willens und fähig, diese radikale Veränderung zu akzeptieren.
Kann man Liebesbeziehung und Elternsein unter einen Hut bringen?
Gegenfrage: Wie kann man Frühling und Herbst unter einen Hut bringen? Wer sich gegen die Umwandlung von Zweisamkeit zur Familie stemmt, macht sich das Zusammenleben schwer. Viel schwerer, als es eigentlich ist.
Wie verändert sich eine Beziehung im Verlauf des Lebens?
Jede Liebesbeziehung, die lange genug dauert, wird zu einer Vernunftehe. Vernunft insofern, als nur zwei emotional intelligente Leute eine geglückte Beziehung führen können. Das hat mit Einfühlungsfähigkeit, Mut und psychischer Eigenständigkeit zu tun. Da wir heute im Durchschnitt sehr alt werden, haben wir rund 50 Jahre Zeit, das zu erreichen. Zu zweit und jeder für sich.
Bietet eine Vernunftehe einen guten Boden für eine erfüllte Sexualität im Alter?
Man weiss aus Untersuchungen, dass sehr viele Paare ihren Sex zur Ruhe betten, wenn sie zehn oder fünfzehn Jahre zusammen sind. Sie sind überfordert und entmutigt von ihren miesen Betterfahrungen. Und sie verlegen sich auf spannendere Hobbys. Das ist natürlich in Ordnung, aber auch ein bisschen schade, finde ich. Denn Mann und Frau werden vermutlich erst mit ungefähr 50 langsam sexuell reif.
Das würde bedeuten, dass ein Paar bis ins hohe Alter sexuell lebendig bleiben könnte.
Genau das. Miteinander reif werden ist eine aufregende Herausforderung, sowohl im alltäglichen Zusammenleben als auch im Bett. Der Tod rückt einem ja unaufhaltsam näher auf den Pelz. Er schickt seine Boten voraus, nämlich zunehmende Schwäche und allerhand Krankheiten. Man weiss: Wir haben nicht mehr viel Zeit. Das macht doch eigentlich jeden Augenblick wertvoll.
Sind sich alte und ältere Paare dessen bewusst?
Ja, vermutlich. Aber ich glaube, nur den wenigsten gelingt es, einander auch zu sagen, dass ihnen das klar ist, und ihre Beziehung entsprechend zu beleben. Die meisten haben zu lange über das Wesentliche geschwiegen, häufig ein Eheleben lang. Grad gestern erzählte mir ein früherer Klient, er habe die Liebe zu seiner Frau erst entdeckt, als sie wenige Wochen vor ihrem Krebstod stand. Vierzig Jahre war sie da, die Liebe, und wartete geduldig darauf, gelebt zu werden.
Klaus Heer (*1943) ist Paartherapeut und führt seit 1974 eine eigene Praxis in Bern. In den 70er-Jahren erregte der promovierte Psychologe viel Aufsehen mit seine Radiosendungen zum Thema Sexualität und Partnerschaft. Klaus Heer ist seit 28 Jahren verheiratet und Vater zweier erwachsener Töchter. Seine Bücher «Ehe, Sex und Liebesmüh» (1995), «WonneWorte» (2000) und «Paarlauf» (2005) verkaufen sich tausendfach.
Das Buch «Klaus Heer, was ist guter Sex? Gespräche über das beste aller Themen» von Barbara Lukesch ist soeben im Wörterseh-Verlag neu erschienen. CHF 39.90, ISBN: 978-3-03763-010-5
Das Buch «Klaus Heer, was ist guter Sex? Gespräche über das beste aller Themen» von Barbara Lukesch ist soeben im Wörterseh-Verlag neu erschienen. CHF 39.90, ISBN: 978-3-03763-010-5
© Dr. Klaus Heer: Psychologe – Paartherapeut – Autor